Gottesgericht
Szenerie vor ihnen zu studieren. In der Mitte des Altarbilds befand sich eine Statue der Kreuzigung, darunter befand sich ein Altartisch aus Knochen – Arm- und Beinknochen, Hunderte davon, zu einer festen Masse zusammengebacken. Auf dem Altar lagen einige Gegenstände, aber Jane hatte keine Zeit, sie zu betrachten, denn ihre Aufmerksamkeit wurde von einem schwarz gekleideten Mann beansprucht, der mit dem Rücken zum Altar auf einem Stuhl saß, den Kopf gesenkt, die Hände gefesselt. Dünne schwarze Haarsträhnen hingen ihm ins Gesicht und verbargen es. Sie nahm an, dass es sich um Pfarrer Kamarda handelte.
In diesem Moment huschte ein Schatten über die Decke der Höhle, und ein Mann in Jeans und einem schwarzen Rollkragenhemd kam hinter dem Altarbild hervor, in der Hand einen billigen Plastikstuhl wie der, auf dem der Priester saß. Er stellte ihn neben dem Altar ab und ging zu dem Priester; er flüsterte ihm etwas ins Ohr, dann packte er ihn an den Haaren und riss seinen Kopf nach hinten.
Es erinnerte Jane sofort an die Szene in der Hagia Sophia und weckte tiefste Furcht in ihr.
»Lassen Sie ihn los!«, rief Orhun, der aus dem Schatten kam und sich geschmeidig mit beiden Händen an der Pistole auf den Altar zubewegte.
»Na, sieh mal an, wen haben wir denn hier?«, sagte der Mann offenbar unbeeindruckt.
Er hatte einen amerikanischen Akzent, und Jane erkannte die Stimme sofort. Allein von ihrem Klang wurde ihr übel.
»Los!«, sagte Orhun und ließ seinem Befehl einen Schuss über den Kopf des Manns folgen. Er krachte in einen der Schädel des Altarbilds, der in tausend Knochensplitter zerbarst.
Der Amerikaner ließ die Haare des Priesters los, dessen Kopf daraufhin wieder nach unten sackte.
Jane versuchte sich nicht anmerken zu lassen, wie sehr der Schuss sie erschreckt hatte.
Orhun blieb einige Meter vor den beiden Männern stehen.
»Na, sieh mal an«, sagte Jane und trat neben Orhun. »Wir wissen dafür, wer Sie sind. Sie sind das kranke Arschloch, das den alten Mann in der Hagia Sophia ermordet hat.«
»Anscheinend geht Ihnen bei so etwas wirklich einer ab«, sagte Orhun und bedeutete ihm mit einer Handbewegung, sich von dem Stuhl zu entfernen. »Aber das ist jetzt vorbei.«
»Was haben Sie vor? Mich verhaften?«
»Nein. Ich werde Sie töten.«
Der Amerikaner kniff die Augen zusammen. Er wusste nicht, ob Orhun dies ernst meinte.
Jane wusste es ebenfalls nicht.
Sie ging zu Kamarda, der es fertiggebracht hatte, den Kopf zu heben, und ihr etwas zuflüsterte. Sie beugte sich zu ihm hinunter.
» Attenzione … c’è un altro …«, sagte er heiser.
Sie fuhr rasch herum, um Orhun zu warnen, aber es war zu spät. Ein silberhaariger Mann war aus einer Vertiefung in der Höhle rechts von Orhun aufgetaucht und richtete eine Waffe auf ihn.
» Getta la pistola«, sagte er. »Legen Sie sie weg«, fügte er mit starkem Akzent an.
Jane kam es vor, als würde sie auch seine Stimme kennen, aber wie war das möglich? Sie glaubte nicht, dass sie den Mann schon einmal gesehen hatte. Er trug einen langen Mantel über einem gut geschnittenen dunklen Anzug und war sehr gepflegt, auf diese Weise, wie es italienische Männer häufig sind. Doch sein Aussehen wurde durch eine Hakennase getrübt und durch einen Mund, der in einem höhnischen Grinsen erstarrt zu sein schien.
Orhun hielt seine Waffe weiter auf den Amerikaner gerichtet, doch sein Blick huschte nach rechts, um die Bedrohung abzuschätzen.
»Er hat eine Waffe«, sagte Jane.
Orhun trat zurück und ließ seine sinken.
»Hakan!«, kommandierte der Italiener.
Mit einem blasierten Lächeln nahm der Amerikaner Orhun die Pistole ab. »Ich persönlich bevorzuge Messer, aber so wird der Gerechtigkeit auf poetische Weise Genüge getan«, sagte er und setzte die Waffe an Orhuns Schläfe.
54
»Noch nicht«, sagte der Ältere auf Italienisch. »Die beiden sind hier, weil sie etwas verhindern wollten. Sie sollen sehen, wie es geschieht. Hol Stühle für sie.«
Er hatte genug geredet, damit sich Jane sicher war.
»Signor Perselli?«, sagte sie, als er sich mit der Waffe näherte, die er nun auf sie gerichtet hielt. »Habe ich recht?«, fügte sie auf Italienisch an.
Er stand reglos da. »Signora Wade? Sie sind es doch, nicht wahr? Ein Jammer, dass Sie nicht auf mich gehört haben und zu Hause geblieben sind.«
»Sie sind selbst auf Reisen gegangen«, sagte sie. »Leben Sie nicht in Rom?«
Hakan, der hinter dem Altar verschwunden war, kam mit ein paar Stühlen
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