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Gotteszahl

Gotteszahl

Titel: Gotteszahl Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Holt
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Streifen über den Boden, als das verängstigte Tier auf dem Gang verschwand.
    »Ich habe ein Monster losgelassen«, flüsterte Marcus und schloss die Augen.
    »Das ist die Polizei«, rief Rolf weinend von der Tür her. »Marcus! Die Polizei ist da!«
    Aber Marcus war nicht mehr da. Er war in sein Arbeitszimmer gegangen und hatte sich in den mit Kalbsleder überzogenen Sessel gesetzt, hinter den Schreibtisch aus geflammter Birke. Die Tür war geschlossen, aber nicht abgeschlossen. Als er Rolf abermals rufen hörte, öffnete er die oberste Schublade, in der er in der Nacht die Pistole aus dem Waffenschrank bereitgelegt hatte.
    Er entsicherte und richtete den Lauf an seine Schläfe. »Erzähl ihnen die ganze Geschichte«, sagte er, ohne dass jemand ihn gehört hätte. »Und pass gut auf unseren Sohn auf.«
    Das Letzte, was Marcus Koll jr. jemals hörte, war Rolfs Schrei. Dann drückte er ab.
    Ein ziemlich kleiner Mann in Gesellschaft eines bulligen Afroamerikaners kam auf Richard Forrester zu, als der sich der Passkontrolle im John F. Kennedy International Airport näherte. Die Schlange wirkte endlos, und für einen Moment dachte er, sie wollten ihm, als Reisendem der ersten Klasse, vielleicht einen Sonderservice anbieten. Ihn an den anderen Reisenden vorbeilotsen. Er lächelte aufmunternd, als der kleinere der beiden Männer fragte: »Richard Forrester?«
    »Ja?«
    Der Mann zog einen leicht erkennbaren Ausweis hervor. Richard hörte die Stimme nicht mehr, in seinen Ohren rauschte es und ihm war so heiß. Viel zu heiß. Er zog an seinem Schlips und rang um Atem.
    »… the right to remain silent. Anything you say can and will be used against you in …«
    Richard Forrester schloss die Augen und hörte die Miranda-Warnung, die irgendwo weit weg psalmodiert zu werden schien. Etwas war schiefgegangen, aber er konnte um nichts in der Welt begreifen, was. Er hatte nirgendwo Spuren hinterlassen. Keine Fingerabdrücke. Er war doch nur in England gewesen, in Geschäften für sein kleines, aber gut organisiertes Reisebüro.
    »Do you understand?«
    Er öffnete die Augen wieder. Die Frage hatte der große Mann gestellt. Seine Stimme war grob und tief, und die Augen starrten Richard Forrester verächtlich an, als er noch einmal fragte: »Do you understand?«
    »Nein«, sagte Richard Forrester und streckte auf Befehl des kleinen Mannes hin die Hände aus. »Ich verstehe überhaupt nichts.«
    »Yngvar«, flüsterte Inger Johanne und schmiegte sich an ihren schlafenden Mann. »Hätten wir diesen Selbstmord wirklich nicht verhindern können?«
    »Nein«, murmelte er und drehte sich um. »Wie stellst du dir das denn vor?«
    »Weiß nicht.«
    Es war fünf nach halb drei in der Nacht zum Sonntag, dem 18. Januar 2009. Yngvar setzte sich auf, um einen Schluck Wasser zu trinken.
    »Ich kann nicht schlafen«, flüsterte sie.
    »Das merke ich«, sagte er lächelnd. »Aber es war ja auch ein überaus ereignisreicher Tag.«
    »Ich bin so froh, dass du den letzten Flug nach Hause noch erwischt hast.«
    »Ich auch.«
    Sie küsste ihn auf die Wange und schmiegte sich in seine Armbeuge. Das abgegriffene Lederbuch lag noch immer auf Yngvars Nachttisch. Er hatte es ihr gezeigt, aber sie hatte nichts lesen dürfen. Nur sie hatte von der Existenz dieses Buches erfahren. Der zutiefst persönliche Inhalt hatte ihn ergriffen. Religiöse Grübeleien, philosophische Betrachtungen. Alltagsgeschichten. Die Geschichte darüber, wie ein Schwuler mit einer Lesbe ein Kind zustande gebracht hatte, das Glück darüber, der Schmerz. Die Schande. Alles in einer zierlichen kleinen Handschrift, die fast weiblich wirkte.
    Sowie er auf Gardermoen gelandet war, hatte Yngvar beschlossen, einen Bericht über die wichtigsten Dinge zu schreiben, die mit dem Mord an Eva Karin zu tun hatten, und es so aussehen zu lassen, als habe Erik Lysgaard ihm das alles erzählt. Das Buch sollte niemand sonst öffnen.
    »Jetzt wird er sicher nicht konvertieren«, sagte Yngvar leise.
    Schon bei ihrer ersten Begegnung hatte Lukas erwähnt, dass Erik vom Katholizismus fasziniert war. Der junge Mann hatte sogar ein wenig gelächelt, als er von der Reise erzählt hatte, die seine Eltern im vergangenen Herbst nach Boston unternommen hatten. Während Eva Karin an einem ökumenischen Weltkongress teilgenommen hatte, war Erik von einer katholischen Kirche zur nächsten gepilgert. Was weder Eva Karin noch Lukas gewusst hatten, war, dass er auch gebeichtet hatte. Er war theologisch geschult und

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