Goya oder der arge Weg der Erkenntnis - Roman
den Atem. Es gab eine Fächersprache, in welcher die Majas, die Mädchen aus dem Volke, in der Kirche, bei öffentlichen Festen, in den Schenken, sich Unbekannten verständlich machten, und das Signal, welches da von der Estrade kam, war eine starke Ermunterung.
Vielleicht hatte die alte Marquesa inzwischen weitergesprochen, vielleicht hatte er geantwortet. Er wußte es nicht. Jetzt jedenfalls verließ er sie brüsk, unmanierlich, und ging durch den Saal der Estrade zu.
Gedämpfte Stimmen waren überall, Lachen, Klirren von Tellern und Gläsern. Durch das leise Gelärm indes kam von der Estrade her eine Stimme, etwas hart, doch keineswegs schrill, eine sehr junge Stimme, ihre Stimme. »War sie nicht ein wenig dumm, Marie-Antoinette, alles in allem?« fragte die Alba, und da sie offenbar wahrnahm, wie diese dreisten Worte befremdeten, erläuterte sie mit freundlichem Spott: »Ich meine natürlich die Antoinette in dem Stück Monsieur Berthelins.«
Nun war er auf der Estrade. »Wie hat Ihnen unser Stück gefallen, Señor de Goya?« fragte sie. Er antwortete nicht. Er stand da und schaute sie an, unbekümmert. Er war nicht mehr jung, fünfundvierzig Jahre alt war er, und er war nicht schön. Das runde Gesicht mit der flachen, fleischigen Nase, den tiefliegenden Augen und der üppigen, vorspringenden Unterlippe war sonderbar bekränzt von dem vollen, modisch gepuderten Haar, sein Körper, prall in dem eleganten Rock,war dicklich. Der ganze Mann mit seinem Löwengesicht wirkte gerade durch seine Gepflegtheit ungeschlacht, ein Bauer in übermodischer Hoftracht.
Er wußte nicht, ob er schließlich doch geantwortet hatte, wußte nicht, ob andere gesprochen hatten. Aber jetzt kam die bestürzende Stimme von neuem aus dem bräunlichweißen, hochmütigen, launischen Gesicht. »Gefallen Ihnen meine Spitzen?« fragte sie. »Der Feldmarschall Alba hat sie erbeutet, vor dreihundert Jahren in Flandern oder in Portugal, ich weiß nicht mehr.« Goya antwortete nicht. »Was entdecken Sie sonst an mir?« fuhr sie fort. »Sie haben mich gemalt, Sie sollten mich kennen.« – »Das Porträt ist nichts geworden«, brach es aus ihm heraus, seine Stimme, klingend sonst und schmiegsam, war heiser und ungebärdig laut. »Auch die Gesichter auf den Gobelins sind nichts als Spielerei. Ich möchte es nochmals versuchen, Doña Cayetana.«
Sie sagte nicht ja, nicht nein. Sie schaute ihn an, das mattleuchtende Gesicht unbewegt, aber die dunkeln, metallischen Augen voll und dringlich auf ihm. Drei Augenblicke lang schaute sie ihn so an, und für die Ewigkeit dieser drei Augenblicke waren sie allein in dem menschenvollen Raum.
Unvermittelt aber brach sie die zauberische Gemeinsamkeit. Beiläufig meinte sie, für die nächste Zeit werde sie für Sitzungen leider keine Zeit haben; sie sei beschäftigt mit dem Bau und der Einrichtung eines Landhauses in Moncloa. Von diesem Projekt sprach man viel in Madrid; die Herzogin, wetteifernd mit der toten Königin von Frankreich, wollte sich ihr Trianon bauen, ein kleines Schloß, gelegentlich dort ein paar Tage allein zu verbringen, nicht mit den Freunden der Familie, sondern mit ihren eigenen.
Sogleich indes nahm sie den früheren Ton wieder auf. »Wollen Sie mir in der Zwischenzeit etwas anderes malen, Don Francisco?« fragte sie. »Einen Fächer vielleicht? Wollen Sie mir ›El Abate y la Maja‹ malen?« Es war aber »El Fraile y la Maja«, »Der Mönch und das Mädchen«, ein Zwischenspiel von Ramón de la Cruz, eine gewagte kleine Komödie, die, fürdie öffentliche Aufführung verboten, in einer heimlichen Liebhabervorstellung gespielt worden war.
Die Herzogin von Alba bat den Hofmaler Francisco de Goya, ihr einen Fächer zu malen. Daran war nichts Ungewöhnliches, oft ließ sich eine Dame einen Fächer malen, Doña Isabel de Farnesio war berühmt für ihre Sammlung von mehr als tausend Fächern. Nichts Auffallendes geschah auf der Estrade. Trotzdem war denen ringsum, als wohnten sie einem vermessenen, unerlaubten Schauspiel bei.
Armer Don Francisco, dachte unten im Saal die alte Marquesa, vor ihrem innern Aug stand ein Bild des Rubens, das sie soeben in der Galerie gesehen hatte, der Herkules, den Omphale spinnen macht. Die alte Dame hielt auf Manieren, doch sie nahm es dem Maler, dem einzigen Bürgerlichen übrigens in dieser Gesellschaft von Granden, nicht übel, daß er sie so unerzogen hatte stehenlassen. Auch nahm sie es der Frau ihres Sohnes nur wenig übel, daß sie sich auf so
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