Goya oder der arge Weg der Erkenntnis - Roman
bedenkliche, ja schamlose Art vergnügte. Sie verstand Doña Cayetana, sie hatte selber viel erlebt, sie liebte das Leben. Ihr Sohn, der schwach und zart war, brauchte starken Zustrom, das dünne Rinnsal des eigenen Lebens zu speisen, es war gut für ihn, daß er diese Frau zur Seite hatte, man mußte der Frau vieles nachsehen. Die großen Häuser Spaniens verdämmerten, die Männer wurden immer feiner und schwächer, und was noch an Kraft da war, das war in den Frauen, in dieser zum Beispiel, der Frau ihres lieben Sohnes, die da oben so frech und anmutig mit dem Maler spielte, einem der wenigen Männer des Landes.
Der Herzog von Alba selber, mit seinen großen, nachdenklichen Augen, verfolgte das Spiel, welches seine Frau mit dem Maler trieb. Da saß er, Don José Alvarez de Toledo, Dreizehnter Herzog von Berwick und Alba, Elfter Marqués de Villabranca und Inhaber vieler anderer Titel; unter den hundertneunzehn Granden des Königreichs waren nur zwei ihm gleich an Rang, er war gesegnet mit allen Glücksgütern dieser Welt. Da saß er, schmächtig, vornehm, sehr elegant,und es verlangte ihn nicht, einzugreifen in die Geschicke dieser Welt, wozu ihm seine Abkunft und der erworbene Name das Recht gegeben hätten, der große, stolze, finstere Name Alba, heute noch gefürchtet in Flandern. Vielmehr war dieser Alba müde der Hoheit und des vielen Denkens über die komplizierten Dinge des Lebens, es lüstete ihn nicht, einem andern was vorzuschreiben oder zu verbieten. Wahrhaft froh fühlte er sich nur, wenn er Musik hörte oder selber Musik machte. Ging es um Musik, dann fühlte er Kraft in sich, und er hatte sich kühn gegen den König gestellt, als dieser sich weigerte, die Oper im Coliseo del Príncipe weiter zu subventionieren; herausfordernd hatte er damals selber den Unterhalt der Oper auf sich genommen, bis es ihm der König verbot. Nun also schaute er auf seine schöne Herzogin, wie sie den Köder nach dem Maler auswarf. Er war sich bewußt, daß seine Kraft gering war, er begriff, daß sich Cayetana angezogen fühlte von Don Francisco, der ein Künstler war und ein Mann. Sie war ihm zugetan, seine Herzogin, doch er spürte gut, daß diese Zuneigung nicht frei von Mitleid war, niemals hatte sie ihm einen Blick gegeben wie den, mit dem sie Don Francisco angeschaut hatte. Eine leise Traurigkeit war in ihm. Wenn er allein ist, wird er zu seiner Violine greifen und sich mit Haydn oder Boccherini das »Martyrium der Marie-Antoinette« und was darauf folgte von der Seele waschen. Er fühlte auf sich den zärtlich besorgten Blick seiner Mutter; mit einem fast unmerklichen Lächeln wandte er ihr den Kopf zu. Sie verstanden sich ohne Worte, sie wußte, er gönnte der Frau auf der Estrade ihr Spiel.
Goya, auf der Estrade, nahm wahr, daß sich die Frau nicht mehr mit ihm befaßte, und wußte, daß sie ihn an diesem Abend nicht mehr ansehen würde. Er ging, unziemlich früh.
Draußen empfing ihn unwirtliches Wetter, eine jener unangenehmen Madrider Januarnächte, voll von Wind und Schauern schneevermischten Regens. Sein Wagen wartete, mit livrierten Bedienten, das gehörte sich so für den Maler des Hofes, wenn er bei der Herzogin von Alba eingeladenwar. Aber zur Verwunderung seiner Leute schickte er den Wagen fort. Er zog es vor, zu Fuß nach Haus zu laufen, und achtete, der sparsame Mann, nicht darauf, daß sein hoher Seidenhut und seine Schuhe Schaden leiden mochten.
Wild, verlockend, herausfordernd und furchterregend stand die nächste Zukunft vor ihm. Vor zwei Tagen erst hatte er seinem Freunde Martín Zapater nach Saragossa geschrieben, wie gut geregelt jetzt endlich seine Dinge seien, und das war die Wahrheit gewesen. Es gab keinen Zank mehr mit seiner Frau Josefa; er hatte Freude an seinen Kindern; von den vielen Kindern, die sie ihm geboren hatte, waren freilich nur drei am Leben geblieben, aber es waren nette, gesunde Kinder. Der Bruder seiner Frau, der unleidliche Bayeu, Erster Maler des Königs, redete ihm nicht mehr ein in seine Kunst und seine Lebensführung, sie hatten sich versöhnt, übrigens litt Bayeu schwer am Magen und wird es nicht mehr lange machen. Auch setzten ihm, Francisco, seine Angelegenheiten mit Frauen nicht mehr so heftig zu wie früher; Pepa Tudó, mit der er es jetzt schon seit acht Monaten hielt, war vernünftig. Den schweren Krankheitsanfall, der ihn vor einem Jahr heimgesucht, hatte er überwunden, und er war schwerhörig nur dann, wenn er’s sein wollte. Auch um seine Finanzen stand
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