Grabkammer
scheint.
Meine Tochter Nefertari ist der einzige Schatz, den ich aus Ägypten mitgebracht habe. Und ich habe wahnsinnige Angst, sie zu verlieren.
Tari gleicht mir so sehr. Es ist, als ob ich mir selbst beim Schlafen zusähe. Mit zehn Jahren konnte sie bereits Hieroglyphen lesen. Mit zwölf konnte sie sämtliche Dynastien bis hin zu den Ptolemäern aufsagen. Jedes Wochenende zog es sie ins Anthropologische Museum. Sie ist in jeder Hinsicht eine Kopie von mir, und in all den Jahren habe ich noch keine offenkundigen Spuren ihres Vaters in ihrem Gesicht oder ihrer Stimme entdecken können – oder auch, was das Allerwichtigste ist, in ihrer Seele. Sie ist meine Tochter, mein Kind und niemandes sonst, frei vom Makel des Bösen, das sie gezeugt hat.
Aber sie ist auch eine normale Vierzehnjährige, und das ist in den vergangenen Wochen immer wieder ein Quell der Frustration für mich gewesen, je deutlicher ich spüre, wie das Dunkel um uns näher rückt, je öfter ich nachts wach liege und auf die Schritte eines Monsters lausche. Meine Tochter ahnt nichts von der Gefahr, weil ich ihr die Wahrheit vorenthalten habe. Ich will, dass sie zu einer starken, furchtlosen Frau heranwächst, einer Kriegerin, die sich nicht vor Schatten fürchtet. Sie versteht nicht, warum ich mitten in der Nacht durchs Haus schleiche, warum ich die Fenster verriegele und jedes Türschloss zweimal kontrolliere. Sie glaubt, dass ich mir übertriebene Sorgen mache, und es stimmt: Ich mache mir Sorgen für zwei, um die Illusion aufrechtzuerhalten, dass alles in bester Ordnung sei.
Und das glaubt Tari auch. Sie mag San Diego, und sie freut sich auf ihr erstes Highschool-Jahr. Sie hat hier Freunde gefunden, und wehe der Mutter, die versucht, einen Teenager von seinen Freunden zu trennen. Sie ist genauso eigensinnig wie ich, und wenn sie sich nicht so sträuben würde, hätten wir die Stadt schon vor Wochen verlassen.
Ein Windstoß weht zum Fenster herein und kühlt den Schweiß auf meiner Haut.
Ich lege die Waffe auf dem Nachttisch ab und gehe zum Fenster, um es zu schließen. Einen Moment halte ich noch inne und atme die kühle Luft ein. Draußen ist die Nacht jetzt vollkommen still, nur das Sirren eines Moskitos ist zu hören. Da spüre ich ein Pieksen in der Wange. Erst als ich den Arm hebe, um das Fenster herunterzuziehen, wird mir klar, was dieser Moskitostich bedeutet. Und ich spüre den eisigen Hauch der Panik im Nacken.
Es ist kein Fliegengitter vor dem Fenster. Wo ist das Fliegengitter?
Da erst spüre ich die Nähe des Bösen. Während meine zärtlichen Blicke auf meiner Tochter ruhten, ruhte sein Blick auf mir. Es hat uns die ganze Zeit beobachtet, auf den richtigen Augenblick gewartet, auf die Gelegenheit zum Sprung. Jetzt hat es uns gefunden.
Ich drehe mich um und blicke dem Bösen ins Gesicht.
Dr. Maura Isles wusste nicht, ob sie bleiben oder flüchten sollte.
Sie blieb im Halbdunkel des Parkplatzes vor dem Pilgrim Hospital stehen, in sicherer Entfernung von den grellen Scheinwerfern und dem Kreis aus Fernsehkameras. Sie legte keinen Wert darauf, gesehen zu werden, und die meisten der Lokalreporter würden die Frau mit der auffallenden Erscheinung wieder erkennen, deren blasser Teint und streng geschnittenes schwarzes Haar ihr den Spitznamen »Königin der Toten« eingebracht hatten. Noch hatte niemand Mauras Eintreffen bemerkt, und nicht eine einzige Kamera war auf sie gerichtet.
Stattdessen war die Aufmerksamkeit der rund ein Dutzend Reporter voll und ganz auf einen weißen Lieferwagen konzentriert, der soeben vor dem Krankenhauseingang vorgefahren war, um seinen berühmten Fahrgast abzuliefern. Die Hintertüren des Transporters wurden aufgestoßen, und ein Blitzlichtgewitter erhellte die Nacht, als die prominente Patientin behutsam aus dem Wagen gehoben und auf eine Rolltrage gelegt wurde. Diese Patientin war ein Medienstar, dessen plötzlicher Ruhm den einer einfachen Rechtsmedizinerin weit überstrahlte.
Heute Abend war Maura lediglich ein Teil des ehrfürchtig staunenden Publikums, angezogen von derselben Attraktion, die auch für den Aufmarsch der Reporter verantwortlich war.
Wie hysterische Groupies drängten sie sich an diesem warmen Sonntagabend vor dem Krankenhauseingang.
Alle konnten sie es kaum erwarten, einen Blick auf Madam X zu erhaschen.
Maura hatte schon oft mit Reportern zu tun gehabt, doch die fanatische Gier dieses Haufens erschreckte sie. Sie wusste, wie schnell ein neues Opfer, das sich in
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