Grabkammer
Blick ging zu der jungen Frau auf der anderen Seite des Fensters. »Und Josephine würde mich umbringen, wenn ich es täte.«
»Ist das Ihre Kollegin?«
»Ja. Dr. Pulcillo.«
»Sie sieht aus, als wäre sie gerade mal sechzehn.«
»Nicht wahr? Aber sie ist blitzgescheit. Sie war es, die dieses CT arrangiert hat. Die Anwälte des Krankenhauses haben versucht, es zu verhindern, aber Josephine hat es gegen alle Widerstände durchgesetzt.«
»Was hatten die Anwälte denn dagegen einzuwenden?«
»Ob Sie’s glauben oder nicht, es ging darum, dass dieser Patient in dem Krankenhaus keine schriftliche Einverständniserklärung geben konnte.«
Maura lachte ungläubig. »Sie wollten eine Einverständniserklärung von einer Mumie?«
»Für einen Anwalt muss immer alles bis aufs I-Tüpfelchen korrekt sein. Auch wenn die Patientin schon ein paar tausend Jahre tot ist.«
Dr. Pulcillo hatte inzwischen das ganze Verpackungsmaterial entfernt. Nun trat sie zu den anderen in den Kontrollraum und schloss die Verbindungstür. Die Mumie lag jetzt ungeschützt in der offenen Kiste und erwartete die erste Ladung Röntgenstrahlen.
»Dr. Robinson?«, sagte der CT-Assistent, die Finger schon eingabebereit über der Computertastatur, »wir müssen noch die vorgeschriebenen Patienteninformationen eintragen, ehe wir das CT starten können. Was soll ich als Geburtsdatum angeben?«
Der Kurator runzelte die Stirn. »Ach du liebe Zeit. Brauchen Sie wirklich ein Geburtsdatum?«
»Ich kann das CT erst starten, wenn ich dieses Formular ausgefüllt habe. Ich habe es schon mit dem Jahr null versucht, aber das hat der Computer nicht angenommen.«
»Warum nehmen wir nicht das Datum von gestern? Machen wir sie einfach einen Tag alt.«
»Okay. Jetzt will das Programm das Geschlecht wissen.
Männlich, weiblich oder Sonstige?«
Robinson blinzelte. »Es gibt eine Kategorie für Sonstige?«
Der Assistent grinste. »Ich hatte noch nie das Vergnügen, dieses Kästchen anzuklicken.«
»Nun, dann nehmen wir es eben heute Abend. Auf der Maske ist das Gesicht einer Frau zu sehen, aber man kann nie wissen.
Ohne CT können wir keine eindeutige Aussage über das Geschlecht machen.«
»Okay«, sagte Dr. Brier, der Radiologe. »Wir wären dann so weit.«
Dr. Robinson nickte. »Fangen wir an.«
Sie scharten sich um den Computerbildschirm und warteten darauf, dass die ersten Bilder auftauchten. Durch das Sichtfenster konnten sie beobachten, wie Madam X’ Kopf langsam in der Röhre verschwand, wo er aus verschiedenen Richtungen mit Röntgenstrahlen bombardiert wurde. Die Computertomographie war zwar keine neue medizintechnische Methode, aber ihre Verwendung bei archäologischen Untersuchungen war noch eine recht junge Entwicklung. Keiner der Anwesenden hatte je mit eigenen Augen das Computertomogramm einer Mumie beobachtet, und als sie sich nun alle um den Monitor drängten, war Maura sich bewusst, dass die Fernsehkamera auf ihre Gesichter gerichtet war und jede ihrer Reaktionen festhalten würde. Nicholas Robinson stand direkt neben ihr; er wippte auf den Fußballen vor und zurück und strahlte eine nervöse Energie aus, die alle im Raum ansteckte. Maura selbst spürte, wie ihr Puls sich beschleunigte, als sie den Hals reckte, um besser sehen zu können. Das erste Bild, das auf dem Monitor erschien, wurde mit ungeduldigen Seufzern kommentiert.
»Das ist nur der Rand der Kiste«, sagte Dr. Brier.
Maura musterte Robinson von der Seite und sah, dass er die Lippen zu einem dünnen Strich zusammengepresst hatte. Würde sich Madam X nur als bloßes Bündel von Lumpen entpuppen, als leere Hülle? Dr. Pulcillo stand neben ihm; sie wirkte nicht minder angespannt und umklammerte die Rückenlehne des Stuhls, auf dem der Radiologe saß, während sie ihm über die Schulter starrte und gebannt darauf wartete, dass etwas eindeutig Menschenähnliches erschien – irgendeine Bestätigung, dass sich unter diesen Leinenbinden ein Leichnam verbarg.
Das nächste Bild änderte alles. Es war eine verblüffend helle Scheibe, und als sie auf dem Monitor auftauchte, hielten alle im Raum simultan die Luft an.
Knochen.
»Das ist das Schädeldach«, sagte Dr. Brier. »Glückwunsch, es ist definitiv jemand zu Hause.«
Robinson und Pulcillo klopften einander begeistert auf die Schultern. »Genau darauf haben wir gewartet«, sagte er.
Pulcillo strahlte. »Jetzt können wir sie endlich ausstellen.«
»Mumien!« Robinson warf den Kopf in den Nacken und lachte. »Alle lieben
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