Grabkammer
Blick sollte doch wohl genügen«, meinte ein Reporter, und die Menge lachte.
»Es ist nicht so einfach, wie Sie glauben«, sagte Robinson, dem die Brille schon wieder auf die Nasenspitze gerutscht war.
»So eine zweitausend Jahre alte Mumie ist extrem fragil und muss mit großer Behutsamkeit gehandhabt werden. Ich fand es schon nervenaufreibend genug, sie heute Abend in diesem Lieferwagen hierherzutransportieren. Für uns als Museum hat die Konservierung der Exponate höchste Priorität. Ich betrachte mich als ihren Hüter, und es ist meine Pflicht, sie zu beschützen. Deswegen haben wir uns ausreichend Zeit genommen, dieses CT mit dem Krankenhaus abzustimmen. Wir arbeiten langsam, aber dafür sehr sorgfältig.«
»Was hoffen Sie durch das heutige CT herauszufinden, Dr. Robinson?«
Plötzlich strahlte Robinsons Gesicht vor Eifer. »Herausfinden? Nun, alles! Ihr Alter, ihren Gesundheitszustand. Die Methode ihrer Konservierung. Wenn wir Glück haben, können wir sogar ihre Todesursache ermitteln.«
»Ist das der Grund, weshalb die Leiterin der Rechtsmedizin auch hier ist?«
Die ganze Schar wandte sich wie eine vieläugige Kreatur zu Maura um, die sich ganz im Hintergrund gehalten hatte, und starrte sie an. Sie verspürte den wohlbekannten Wunsch, sich in irgendein Loch zu verkriechen, als die Fernsehkameras zu ihr herumschwenkten.
»Dr. Isles«, rief ein Reporter, »sind Sie hier, um eine Diagnose zu stellen?«
»Wieso ist das Rechtsmedizinische Institut überhaupt involviert?«, fragte ein anderer.
Die letzte Frage verlangte eine umgehende Antwort, ehe die Presse die Fakten völlig verdrehen konnte.
Mit fester Stimme sagte Maura: »Das Rechtsmedizinische Institut ist nicht involviert. Es bezahlt mich auf jeden Fall nicht dafür, dass ich heute Abend hier bin.«
»Aber Sie sind hier«, bemerkte der blonde Frauenschwarm von Channel 5, den Maura noch nie gemocht hatte.
»Auf Einladung des Crispin Museums. Dr. Robinson fand, es könnte nützlich sein, auch die Ansicht einer Rechtsmedizinerin zu dem Fall zu hören. Also rief er mich letzte Woche an, um zu fragen, ob ich Interesse hätte, bei dem CT dabei zu sein. Glauben Sie mir, kein Rechtsmediziner würde sich eine soIche Gelegenheit entgehen lassen. Ich bin genauso fasziniert von Madam X wie Sie, und ich kann es kaum erwarten, ihre Bekanntschaft zu machen.« Sie warf dem Kurator einen vielsagenden Blick zu. »Wird es nicht allmählich Zeit, dass wir anfangen, Dr. Robinson?«
Sie hatte ihm gerade eine Rettungsleine zugeworfen, und er ergriff sie sofort. »Ja. Ja, es wird Zeit. Wenn Sie bitte mitkommen würden, Dr. Isles.«
Sie bahnte sich einen Weg durch die Menge und folgte ihm in die Abteilung Bilddiagnostik. Als die Tür hinter ihnen zufiel und sie die Presse endlich los waren, stieß Robinson einen tiefen Seufzer aus.
»Mein Gott, ich bin fürchterlich, wenn es darum geht, vor Leuten zu reden«, sagte er. »Danke, dass Sie dem Elend ein Ende gemacht haben.«
»Ich habe Übung darin. Viel zu viel eigentlich.«
Sie gaben sich die Hand, und er sagte: »Es freut mich, Sie endlich kennen zu lernen, Dr. Isles. Mr. Crispin wollte auch Ihre Bekanntschaft machen, aber er hatte vor ein paar Monaten eine Hüftoperation, und er kann immer noch nicht längere Zeit stehen. Er hat mich gebeten, Ihnen Grüße auszurichten.«
»Als Sie mich fragten, ob ich dabei sein möchte, haben Sie mir verschwiegen, dass ich mich durch diese Meute würde kämpfen müssen.«
»Die Presse?« Robinsons Miene war gequält. »Das ist ein notwendiges Übel.«
»Notwendig für wen?«
»Für unser Überleben als Museum. Seit dem Artikel über Madam X sind unsere Besucherzahlen steil in die Höhe geschnellt.
Und dabei haben wir sie ja noch gar nicht ausgestellt.«
Robinson führte sie durch ein Labyrinth von Gängen. An diesem Sonntagabend war es in der Abteilung für Bilddiagnostik sehr ruhig, und die Räume, an denen sie vorbeikamen, waren dunkel und leer.
»Es dürfte ein bisschen eng werden da drin«, erklärte Robinson. »Selbst für eine kleine Gruppe ist in dem Raum kaum Platz.«
»Wer ist noch alles dabei?«
»Meine Kollegin Josephine Pulcillo, der Radiologe Dr. Brier und ein CT-Assistent. Ach ja, und ein Kamerateam ist auch da.«
»Haben Sie die engagiert?«
»Nein. Die sind vom Discovery Channel.«
Sie lachte verblüfft. »Also, jetzt bin ich aber wirklich beeindruckt.«
»Es bedeutet allerdings, dass wir aufpassen müssen, was wir sagen.« Er blieb vor der Tür
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