Grablichter - Almstädt, E: Grablichter
es der lieben Henriette?«, fragte Marion Burmeister unvermittelt.
»Sie wird sich wieder erholen.«
»Dachte ich’s mir. Henri ist zäh. Na gut, dann hat es sowieso keinen Sinn, Ihnen weiterhin etwas vorzumachen. Lisanne Olsen war einfach zu neugierig. Eine Schnapsidee, eine Story über Henriette Mühlberg bringen zu wollen. Henri ist eine durch und durch verschrobene Person, und ihre Heldentaten in Südamerika liegen mehr als ein Vierteljahrhundert zurück. Lisanne muss während ihrer Arbeit festgestellt haben,dass sie mit dieser Geschichte über Henriette keinen Blumenpott gewinnen kann. Also hat sie nach etwas zusätzlichem Stoff gesucht, etwas Menschlichem, wie die Journalisten wohl sagen. Und dann hat sie, wie sie meinte, genau das Richtige gefunden: eine alte Liebesgeschichte, die das Herz der Leser rühren würde. Alles fing mit dem Foto von mir, Henriette und Arnold auf dem Schützenfest von Kirchhagen 1972 an. Dieser Arnold Plessow war natürlich mein Verehrer, Henri war nur zufällig mit auf dem Foto. So wie auch Simon immer mir gehörte, auch wenn Henri in Berlin damals alles versucht hat, um ihn zu kriegen.« Sie schnaubte verächtlich. »Arnold Plessow war ein Studienfreund von Simon. Sie waren in Berlin in derselben Burschenschaft aktiv und haben auf demselben Haus gewohnt. Arnold wollte Simon nach Abschluss seines Studiums hier in Kirchhagen besuchen, bevor sein Schiff in Hamburg auslaufen sollte. Simon stellte uns einander vor, und dieser Arnold war sofort vollkommen vernarrt in mich. Er wich mir nicht mehr von der Seite. Simon hat gute Miene zum bösen Spiel gemacht, weil er davon ausging, dass sein Bundesbruder in Kürze auf See und aus dem Weg sein würde. Doch dann kam das Schützenfest. Es wurde viel zu viel getrunken. Arnold Plessow hatte sich nicht mehr unter Kontrolle. Als ich einmal aus dem Zelt ging, um frische Luft zu schnappen, kam er hinter mir her. Er zog mich vom Zelt weg in den Knick und bedrängte mich. Es war äußerst unangenehm: Der Mann, der sich ansonsten recht manierlich benommen hatte, wurde plötzlich zum Tier. Es war ekelhaft. Zum Glück hatte Simon mitbekommen, dass Arnold mir gefolgt war, und fand uns schnell. Ich weiß nicht, was passiert wäre, wenn Simon nicht aufgetaucht wäre … Es kam zu einem heftigen Streit zwischen den beiden, ein Wort gab das andere. Dann hat Arnold, dieser Spinner, Simon herausgefordert. Er wäre in seiner Ehre gekränkt und könne diese Beleidigung nicht hinnehmen. Er fordere Simon zu einem Duell. Zu meinem Entsetzen hörte ich, wie Simon einwilligte. Er wollte mir wohl imponieren, der Alkohol war schuld daran. Sie haben sich um zwei Uhr nachts … verabredet. Sie hatten beide schon gefochten, aber das war akademisches Fechten gewesen, mit Sekundanten und festen Regeln … Private Duelle aus persönlichen Gründen waren ja auch damals schon illegal. Ich wusste nicht, was ich tun sollte. Sicherlich hätte ich versuchen müssen, sie von ihrem Vorhaben abzubringen, aber ich hätte nie gedacht, dass Simon wirklich ernst macht. Und sie hätten sowieso nicht auf mich gehört.«
»Sie hätten sich an die Polizei wenden können.«
»Daran habe ich überhaupt nicht gedacht. Ich habe einfach nicht damit gerechnet, dass etwas passieren könnte. Aber ich bin natürlich hinterhergeschlichen, um mir die Sache anzuschauen. Immerhin ging es ja um mich!«
Pia krauste die Stirn. War die Frau etwa stolz darauf?
»Was ist dann passiert?«, fragte Gabler weiter.
»Es ging alles schief. Arnold muss noch weitergetrunken haben, so wie er sich beim Treffpunkt aufführte, während Simon schon wieder fast nüchtern wirkte. Arnold ging einfach auf ihn los, ohne sich um seine Verteidigung zu kümmern … Simon hat in Notwehr gehandelt. Er konnte sich doch nicht einfach so abstechen lassen!«
»Woher hatten sie die Waffen?«
»Ich weiß es nicht.«
»Wie ging es weiter?«
»Simon hat Arnold am Hals erwischt. Aber nicht mit Absicht! Es ist einfach so passiert! Arnold hat noch gelebt, aber seine Halsschlagader war verletzt worden. Simon hat seine Finger auf die Wunde gepresst, aber das Blut … Ich hätte niegedacht, dass ein Mensch so bluten kann. Ein paar Minuten später war Arnold Plessow tot. Und dann … dann hat Simon mich angefleht, ihm zu helfen.«
»Es hätte ihm sicherlich geholfen, wenn sie vor Gericht ausgesagt hätten, dass er in Notwehr gehandelt hat.«
»Aber er wollte doch Arzt werden! Er hat in Berlin Medizin studiert. Sein Ziel war es, sich
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