Grablichter - Almstädt, E: Grablichter
starrte es zu ihnen herüber, rührte sich aber nicht vom Fleck. »Ich hab’s doch geahnt, und wo eins ist, sind auch die anderen nicht weit«, sagte Broders und schaltete zwei Gänge runter. Der Motor heulte auf, und das Reh verschwand mit ein paar langen Sätzen zwischen den Bäumen.
Die Straße führte über den kleinen Wasserlauf, mehr Graben als Bach und im Dunklen kaum zu erkennen, und machte dann einen scharfen Rechtsknick.
»Hast du schon eine Ahnung, was das hier heute Abend werden soll?«, fragte Pia, während ihre Augen die Felder und Wiesen nach dem vereinbarten Treffpunkt absuchten.
»Sag bloß, du wärst jetzt lieber zu Hause bei deinem Schatz, statt hier gleich mit mir durch das Unterholz zu kriechen?«, spottete Broders.
»Mein Schatz muss auch arbeiten. Also, was soll’s.«
»Manchmal fällt es einem gar nicht so auf, doch irgendwann ist das Leben vorbei, ohne dass man ein Privatleben geführthat«, stellte ihr Kollege mit einem Anflug von Bitterkeit in der Stimme fest.
Pia unterdrückte ihr aufwallendes Unbehagen gegen dieses Thema. Sie hatte ihren Freund Hinnerk heute eigentlich anrufen wollen, war aber wieder einmal nicht dazu gekommen … »Und das von dir, Broders, unser aller Gewissen in der Abteilung«, sagte sie spöttisch.
»Täusch dich nicht. Übrigens, wenn wir nicht gleich da sind, fahre ich zurück.«
Was war los mit ihm? Schon seit ein paar Tagen waren Pia Veränderungen an ihm aufgefallen. Er hatte seine blank gescheuerten Polyesterhosen gegen Jeans ausgetauscht, trug neuerdings weiße und hellblaue Hemden unter seinen Pullovern, und sein Bart sah frisch gestutzt aus. Außerdem, und auch das war neu, hatte er auf den neuen Auftrag mit griesgrämiger Miene reagiert.
Hinter der nächsten Biegung tauchten zwei Autos mit eingeschaltetem Standlicht auf. Broders trat auf die Bremse. Ein Streifenwagen stand dicht an die dornigen Zweige des Knicks gedrängt, während Gerlachs Privatwagen die Zufahrt zu einem Acker blockierte. Broders hielt direkt davor an. Pia und er stiegen aus.
Michael Gerlach, ein Kollege von Pia Korittki und Heinz Broders, lehnte an einem offen stehenden Gatter und versuchte, sich eine Zigarette anzuzünden. Als er die Neuankömmlinge aus Lübeck sah, hob er grüßend die Hand. Zwei Männer in Regenjacken und Gummistiefeln traten hinzu, die sich als Ernst Barth und Thomas Kalosch von der Kriminalpolizeistelle Bad Oldesloe vorstellten.
»Ursprünglich sah es heute Morgen danach aus, als hätten wir es mit einem Reitunfall mit tödlichem Ausgang zu tun«, erklärte Barth, während er die kleine Gruppe dicht am Knickentlang in Richtung Wald führte. »Bei der Toten handelt es sich um eine Frau aus Kirchhagen, eine Lisanne Olsen. Sie ist heute Morgen zu einem Geländeritt aufgebrochen, ihr übliches Trainingspensum, wie man uns sagte, aber sie ist nicht wie sonst zum Stall zurückgekehrt. Sie ist erst später am Vormittag tot aufgefunden worden, als dem Besitzer des Reitstalls auffiel, dass ihr Pferd nicht in seiner Box stand und auch das Sattelzeug fehlte. Er ist die Strecke mit seinem Hund abgegangen und hat die Tote hinter einem Hindernis liegend aufgefunden. Er war mit der Frau befreundet, also muss es ein furchtbarer Schock für ihn gewesen sein.«
»Wie heißt der Mann?«
»Jan Dettendorf. Er wohnt auch in Kirchhagen. Das Pferd der Verunglückten stand bei ihm im Stall.«
»Ist das Spurensicherungsteam schon vor Ort?«, fragte Pia.
»Seit einer halben Stunde. Deren Fahrzeug mit dem Beleuchtungskram steht ein Stück den Waldweg hinunter. Der Boden ist sehr feucht, eventuell müssen wir die nachher mit einem Schlepper rausziehen lassen.« Barth zeigte am Knick entlang. »Wir gehen hier herum, damit Sie nicht auch noch durch den Graben müssen.« Er warf einen vielsagenden Blick auf Gerlachs lehmverschmierte Lederschuhe.
»Kommt Kriminalrat Gabler noch?«, meldete sich Kalosch erstmals zu Wort.
»Er ist noch mal rüber ins Institut für Rechtsmedizin zu Dr. Kinneberg gefahren«, antwortete Broders.
»Hier entlang«, sagte Barth und ging weiter. Die anderen folgten ihm. »Achtung jetzt, nicht stolpern … Vorsicht, der Baumstumpf! Da vorne in dem Waldstück ist es schon …« Der unstete Lichtfinger seiner Taschenlampe tastete sich über morsche Weidezäune, tiefe Pfützen und halb entlaubte Sträucher am Wegesrand. Eine blasse Mondsichel schimmerte durchdie dünne Wolkendecke, beleuchtete Äcker und Weiden, die sich in Richtung Autobahn zogen. Ein
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