Grablichter - Almstädt, E: Grablichter
verhalten, und sofort knarrte und krächzte das Babyfon in ihrer Tasche. Ungeduldig trommelte sie mit den Fingerspitzen gegen den Türrahmen. Gleich würde sie allein losgehen. Die Weinflasche und ein Taschenbuch lagen dekorativ verpackt auf der kleinen Flurablage. Sie hatten den gleichen Geschmack, Thorsten Maybachund sie, nicht nur, was guten Wein und gute Bücher betraf. Seltsam, dass so ein Mann allein lebte.
»Ich gehe jetzt«, sagte sie so laut, wie es mit schlafenden Kindern im Haus eben möglich war. In diesem Moment kam Daniel die Treppe herunter. Wie immer trug er seine ausgebeulte Cordhose und das alte Sweatshirt. Sein Haar sah ungewaschen aus. Bei ihrem Anblick stutzte er. »So aufgebrezelt? Wir gehen doch nur zu den Nachbarn …« Immerhin sah er sie überhaupt an. Es musste an dem leuchtenden Orange liegen.
»Ich hatte Lust auf ein bisschen Farbe …«, antwortete sie leichthin.
»Und ich habe gar keine Lust«, sagte er halblaut und suchte nach seinen Schuhen.
»Das ist ja nichts Neues bei dir. Vielleicht solltest du dich nicht jeden Abend in deinem Arbeitszimmer vergraben, Daniel. Wenn du schon gestern nicht an der Einwohnerversammlung zur geplanten Umgehungsstraße teilgenommen hast, könntest du jetzt wenigstens etwas Interesse an dem Thema zeigen. Das geht auch dich an«, antwortete sie und beobachtete leicht besorgt seine Reaktion. Sie klemmte sich Wein und Buch unter den Arm und zog die Haustür auf.
»Ich weiß gar nicht, worüber ihr euch alle so aufregt. Die werden die neue Umgehungsstraße sowieso genau dorthin bauen, wo es ihnen in den Kram passt. Wahrscheinlich ist alles schon längst entschieden, ihr wisst es nur noch nicht.«
»Du bist ein unverbesserlicher Pessimist, Daniel. Manchmal kann ich nicht glauben, dass einer wie du Tag für Tag eine Abteilung leitet und Entscheidungen trifft. Wie halten deine Leute es nur mit dir aus?«
»Davon verstehst du nichts«, sagte er, sein Gesicht war ernst. Lag es nur daran, dass er keine Lust auf Nachbarschaftsklatsch hatte, oder steckte er in beruflichen Schwierigkeiten? Ankewurde ein wenig flau. Sie kamen jeden Monat gerade mal so über die Runden mit den Raten für ihr Haus. Leise, um die Kinder nicht zu wecken, zog sie die Haustür hinter sich ins Schloss. Feiner Nieselregen schlug ihr ins Gesicht, als sie neben ihrem Mann zum Nachbarhaus hinübereilte.
»Anke, Daniel, schön, dass ihr da seid.« Thorsten Maybach nahm die Geschenke entgegen und legte sie auf der Flurkommode ab. Während er ihre Jacken an die Garderobe hängte, sah Daniel sich neugierig um. Er ist noch nie hier gewesen, dachte Anke alarmiert. Sie musste aufpassen, was sie sagte.
»Alles in Ordnung bei dir?« Thorsten ließ seine warme Hand einen Moment länger auf ihrem Schulterblatt ruhen, als der offiziellen Begrüßung angemessen war.
»Oh, klar doch«, sagte sie lächelnd und trat einen Schritt zurück. »Alles Gute zum Geburtstag, Thorsten! Vielen Dank für die Einladung.«
Sie hauchte ihm einen Kuss auf die Wange. Mehr war nicht drin. Daniel stand neben ihnen, sein langes Gesicht wirkte unbeteiligt, aber Anke war sich sicher, dass er jedes Wort, das sie mit Thorsten wechselte, genau registrierte. Bei ihrem nächsten Streit bekäme sie alles aufs Butterbrot geschmiert.
Im Wohnzimmer musterte Anke die anderen Gäste. Fast alle aus der Straße waren anwesend. Das war nicht weiter überraschend, denn sie pflegten hier eine gute Nachbarschaft. Nur Gina Arzberg-Wenning schien noch nicht da zu sein. Die einzige alleinstehende Frau in der Siedlung, und ausgerechnet sie versäumte Thorsten Maybachs Feier? Dafür entdeckte Anke auch Leo Körting unter den Gästen, dem ein Hotel etwas außerhalb von Kirchhagen gehörte. Mit seiner solariengebräunten Haut und dem Kaschmirsakko passte er nicht so recht in das Bild bürgerlichen Understatements, das die anderen boten.Alle waren eher lässig gekleidet, ihre Gesichter sahen winterblass und müde aus. War dieser Körting mit Thorsten Maybach befreundet? Das wäre ihr neu.
Daniel gesellte sich sofort zu den Senkbleis, sodass Anke Gelegenheit hatte, zu Thorsten in die Küche zu verschwinden.
»Kann ich dir helfen?«
»Oh, nett von dir, aber ich habe alles im Griff. Du kannst gern schon zu den anderen rübergehen.«
»Was macht denn Leo Körting hier? Kennst du ihn näher?«
»Ach, der hat mich neulich mal angesprochen. Ich glaube, er sucht Unterstützung wegen der geplanten Umgehungsstraße.«
Anke nickte. Leo Körtings
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