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Grappa 05 - Grappa faengt Feuer

Grappa 05 - Grappa faengt Feuer

Titel: Grappa 05 - Grappa faengt Feuer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gabriella Wollenhaupt
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selbst organisiert und war dabei gut gefahren.
    Die Verhandlungen zwischen Kondis und dem Hotelmanager gingen ihrem Ende zu. Ich verstand kein Wort, doch der Dialog gestaltete sich temperamentvoll.
    »Gibt es Probleme?«, wollte ich wissen.
    »Überhaupt nicht«, meinte er, »ich habe für Sie, Frau Vischering, Daphne und den Pater Einzelzimmer organisiert. Stellen Sie sich vor, er wollte mich und den Pater zusammen in einem Doppelzimmer einquartieren.«
    »Vielleicht dachte er, dass Sie geistlichen Beistand gebrauchen können.«
    »Die Zimmer sind bereit«, rief Kondis der Schafherde zu. »Ihr Gepäck wird sofort in die Räume gebracht.«
    Ich griff selbst zu meinen Koffern und schleppte sie fort, nachdem ich mir den Zimmerschlüssel hatte geben lassen.
    Das Hotel war sauber und hell. Auf dem Weg zu meinem Raum fiel mir die Dachterrasse auf. Sie war groß und bot eine atemberaubende Sicht in das Tal des Flusses Pleistos, über dem sich die kargen Wände des Parnassos-Gebirges erhoben. Ich ließ meinen Koffer auf dem Flur stehen und trat nach draußen.
    Ein kühlender Wind kam vom Berg. Die Luft war straff. Weit unten im Tal Millionen von Olivenbäumen. Sie reichten mit ihrem silbrigen Grau bis hin zum Meer, das in leichtem Dunst einen blauen Zipfel von sich sehen ließ.
    Ich schloss die Augen. Der Wind wurde stärker, der Lärm der Touristenbusse von der Straße in meinem Rücken verstummte. Jemand begann, eine sehnsuchtsvolle Melodie auf einer Flöte zu spielen. Die Töne klangen unwirklich und zeitlos. In welchem Jahrtausend befand ich mich? Oder war ich auf einen Touristengag hereingefallen?
    »Eine Hirtenflöte!«, sagte Kondis neben mir. Ich hatte ihn nicht bemerkt. Dann hörten wir beide dem unbekannten Flötenspieler zu. Die Zeit vergaß uns.
    »Kennen Sie den englischen Dichter Lord Byron?«, wollte er wissen.
    »Nicht persönlich«, witzelte ich.
    »Er starb für uns Griechen im Freiheitskampf gegen die Türken. Das war 1824. Als er nach Delphi kam, war der Parnass schneebedeckt und die Ausgrabungsstätte verlassen. Byron schuf folgendes Gedicht:
    O du Parnassos, den ich heut' darf schauen,
    und nicht etwa in holdem Traumgesicht,
    nicht in des Liedes fabelhaften Auen,
    nein, schneebedeckt in Griechenhimmels Licht,
    in jener Hoheit, die aus Firnen spricht,
    was Wunder, wenn ich's wage, so zu singen!
    Dein treuster Pilger, der dich hat in Sicht,
    möcht' deinem Echo seine Lieder bringen,
    hebt auch auf dir die Muse nicht mehr ihre Schwingen.«
    »Das gefällt mir«, sagte ich. »In einer Luft, die fest und dünn wie Seide ist, bekommen Worte mystische Bedeutung.«
    »Lassen Sie uns das Kriegsbeil begraben«, bat er leise.
    Ich schaute ihn überrascht an. »Einverstanden. Ich kann Ihre Abneigung gegen meinen Auftrag ja verstehen. Aber ich werde Sie alle so wenig wie möglich belästigen. Tun Sie so, als sei ich überhaupt nicht da.«
    »Das habe ich nicht sagen wollen.« Er war verunsichert.
    »Wie auch immer. Ich will die Reise ein bisschen genießen. Hier ist alles anders als auf meinen bisherigen Urlaubsreisen. Es ist wahrscheinlich sentimental, aber eben hatte ich einen Augenblick das Gefühl, nicht in dieser Zeit zu leben. Verstehen Sie, was ich sagen will?«
    Er lächelte traurig. »Sicher weiß ich das. Sie schauen auf Berge, auf denen die Menschen vor 3000 Jahren ihr Vieh gehütet haben. Sie berühren Steine, die vor langer Zeit von anderen berührt worden sind. Sie hören von Göttern, die das Schicksal Europas mitbestimmt haben. Und Sie hören ein Flötenspiel, das sich seit den antiken Zeiten nicht viel verändert hat. Jeder Mensch mit Fantasie und Einfühlungsvermögen spürt den Hauch einer jahrtausendalten Geschichte.«
    »Und woher kommt die Melancholie, die ich empfinde? Diese dubiose Sehnsucht?«
    »Weil Sie ahnen, dass von Ihnen in 3000 Jahren keine Spur mehr da sein wird. Es sei denn, Ihre Reportage wird so sensationell, dass man sie in einen Fels meißelt.«
    »Ich werde mir große Mühe geben!«, versprach ich.
    Schweigend standen wir noch eine Weile und sahen ins Tal. Glockengeläut drang zu uns.
    »Das sind die Hirten mit ihren Ziegenherden«, erklärte Kondis. »Mit diesem Läuten bin ich aufgewachsen. Immer wenn ich die Glocken der Herden höre, fühle ich mich geborgen.«
    Ich betrachtete ihn. Seine Augen waren geschlossen, den Kopf hatte er nach hinten gebogen wie ein Blinder, der neuen Tönen lauscht.
    »Warum ist dieser Waldemar Unbill hier?«, wechselte ich das Thema.
    »Ich habe

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