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Dunkle Häfen - Band 1

Dunkle Häfen - Band 1

Titel: Dunkle Häfen - Band 1 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elin Hirvi
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Prolog
     
    Die alte Frau saß wie jeden Abend am Fenster und starrte hinaus aufs Meer, die Hände auf der abgenutzten Kiste auf ihrem Schoß. Die hereinbrechende Nacht vertrieb die letzten Sonnenstrahlen des Tages. Das rote Leuchten überzog einen Teil des Zimmers mit Flammen, doch wärmen konnte es die dünne Gestalt nicht mehr. Sie lauschte dem beständigen Rauschen der Wellen am Strand und wartete. Wartete, dass der Tag zu Ende ging und dass er sie mit sich nahm. Nur nicht in der Nacht sterben. Die Dunkelheit hatte ihr schon immer Unbehagen bereitet.
    Als es so dunkel war, dass sie vom Meer nur noch das gleichmäßige Rauschen hörte, stand sie mühsam auf. Dabei entglitt ihr die Kiste, die auf den Boden fiel und aufsprang. Mit fahrigen Bewegungen zündete die alte Frau eine Kerze an, um den Schaden in Augenschein zu nehmen. Beim Versuch, den über den Boden verteilten Inhalt aufzuheben, versagten ihr die Beine den Dienst, so dass sie niedersank und mitten zwischen ihren Erinnerungsstücken sitzen blieb. Ob wertvoll oder nicht, jeder Gegenstand hatte große Bedeutung für sie. Ein herrlicher Rubinring sprang mit seinem Glitzern sofort ins Auge. Genauso auffallend war die ausgeblichene rosa Schlafhaube mit den zerschlissenen Rüschen, das Bündel Briefe dagegen weniger.
    Traurig dachte sie an die Menschen, die sie damit verband. Aus Gewohnheit berührte sie ihren Hals, nur um zu spüren, das die vertraute Lederschnur mit dem Amulett noch daran hing. Bei diesem Stück sah sie keine Gesichter. Seit sie denken konnte, hatte sie es schon getragen, es war fast ein Teil von ihr, eines der letzten Überbleibsel aus ihrer Kindheit, von der nur Gefühle und abgehackte Bruchstücke von Bildern übrig waren. Diese Kette hatte schon immer eine tröstliche Wirkung auf sie gehabt. Auch jetzt bekam sie das Gefühl, ein Teil der Einsamkeit, die sie auf die letzten Tage des Alters verspürte, würde etwas schwinden. Wie gern hätte sie mehr Erinnerungen an ihre Familie gehabt als verschwommene Gesichter, die wie durch einen Schleier verdeckt waren.
    Sie raffte ihre Schätze zusammen und legte sie wieder in die Kiste. Nichts war zerbrochen. Ihre Hände fuhren über die vertrauten Intarsien auf dem Holz. Sie merkte, wie Tränen ihre Wangen herunterrannen und sogar sie wirkten anders als in ihrer Jugend, kälter, und sie hinterließen nicht mehr so rot verquollene Augen. Doch sie hatte nicht oft geweint in ihrem Leben, die größten Schicksalsschläge waren zu schmerzhaft, als dass man sich dadurch Erleichterung hätte verschaffen können. Die Tränen schienen nur noch der Abglanz der alten Trauer zu sein. Und sie hatte so viele betrauert, trauerte noch jetzt um sie, manche viel zu jung zum Sterben. Sie alle hatten eine Wunde hinterlassen, die auch die Zeit nicht vollständig heilen konnte. Das wurde ihr erst richtig bewusst, als niemand mehr um sie herum war, der sie mit seiner Liebe oder Gesellschaft abgelenkt hätte. Die Zeit, in der sie gelebt hatte, war bereits vorbei. Die Welt hatte sich verändert.
    Vom Meer zog jetzt Nebel heran, dünne Dunstschwaden, die zu ihrem Fenster hochkrochen und ihre weißen Arme hereinstreckten. Es war wie immer, wenn er kam und die Welt um sich herum verschluckte, bis nur noch die Vorstellung davon existierte. Sein Reich war in einer anderen Welt. Plötzlich überfiel die alte Frau eine dunkle Schwäche. Die Schwäche des Todes, dachte sie. Ihr Blick begann sich zu trüben, die Umrisse des Zimmers lösten sich allmählich in Nebel auf, verschwammen. Das Geräusch der an den Strand brechenden Wellen wurde lauter, rauschte, schien sie zu erfassen und mitzureißen, um sie dann aufs offene Meer hinauszuziehen, dort, wo die Sonne untergegangen war. Es war das Meer der Erinnerungen. Bilder der Vergangenheit zogen an ihr vorüber, das Rad der Zeit drehte sich zurück, bis sie an dem Tag angelangt war, an dem ihre vergessene Kindheit ein abruptes Ende gefunden hatte und ihr neues Leben seinen Anfang nahm.
     

Teil 1
     
     
    Das Licht erlischt
    Und es wird dunkel,
    Dunkler, als du es dir jemals vorstellen konntest.
     

Verkauft
     
    England, in der Nähe von London, 1690
     
    Durch die Wolken des Schmerzes drang das Rumpeln und Schütteln des Karrens. Jedes Holpern verstärkte das Leid des kleinen Mädchens, das bis jetzt wie tot dagelegen hatte. Seine schlichten Kleider waren schmutzig und zerrissen und es hatte Kratzer und Schürfwunden am ganzen Körper. Das blonde Haar war struppig und strähnig, es

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