Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Grappa 05 - Grappa faengt Feuer

Grappa 05 - Grappa faengt Feuer

Titel: Grappa 05 - Grappa faengt Feuer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gabriella Wollenhaupt
Vom Netzwerk:
durchsichtiges Nachthemd aufs Bett. Es sah andächtig aus. So, als bereite sie eine rituelle Handlung vor. Sie erwartet jemanden heute Nacht, dachte ich und tippte auf Kondis. Ich verscheuchte den Gedanken wieder, denn es ging mich schließlich nichts an.
    Pater Benedikt sah ich an dem Abend nicht mehr. Er hatte das Hotel zusammen mit Martha Maus und dem Ehepaar Traunich verlassen. Alfred Traunich hatte etwas von einem »Zug durch die Gemeinde« gefaselt. Hoffentlich füllte der Architekt den Gottesmann nicht ab bis zum Umfallen.

Der Geruch der Pfefferminze
    An diesem ersten Abend begriff ich, dass das Delphische Orakel einmal Mittelpunkt der abendländischen Welt gewesen war. Hier wurden Kriege ausgelöst, Schicksale besiegelt, Absolution für Kapitalverbrechen erteilt. Beherrscht wurde das Machtinstrument von einer Priesterkaste, die sich ihrerseits einer Frau bediente: Der Pythia.
    Die Griechen glaubten, dass Delphi der Mittelpunkt der Welt war, der Nabel, der omphalos. Gottvater Zeus ließ in Urzeiten zwei Adler von beiden Enden des Kosmos ausfliegen, damit sie den Mittelpunkt der Welt herausfänden. Die Vögel starteten und trafen sich in Delphi: Der Beweis, dass der Nabel der Welt gefunden war.
    Ich hatte eine Flasche Weißwein aus Limnos getrunken und fiel entsprechend müde ins Bett. Mein letzter Gedanke vor dem Einschlafen galt der Pythia, die jahrhundertelang im Apollontempel das Schicksal der Welt bestimmte. Meist hatte sie – benommen von schwefligen Dämpfen, die aus einer Erdspalte drangen – sinnloses Zeug gemurmelt, das von den Priestern interpretiert worden war.
    Ich schlief tief, fest und traumlos. Plötzlich wachte ich auf. Es war Nacht. Die Uhr zeigte halb zwei. Aus dem Zimmer nebenan drang ein wimmerndes Geräusch. Nicht laut, sondern verhalten. Dann hörte ich die tiefe Stimme eines Mannes, dann wieder dieses gotterbärmliche Wimmern.
    Ich rappelte mich aus dem Bett hoch. Was geschah da? Bevor ich meine Gedanken einigermaßen beisammen hatte, hörte ich eine Tür zufallen. Ganz in meiner Nähe. Nebenan.
    Ich zögerte noch. Sollte ich mich in Dinge einmischen, die mich nichts angingen? Daphne Laurenz wird Streit mit ihrem Liebhaber gehabt haben, dachte ich. Ich löschte das Licht und wollte mich wieder in die Waagerechte begeben. Ein hektisches Klopfen an meiner Tür hielt mich davon ab.
    Ich öffnete. Vor mir stand Daphne Laurenz. Sie war nackt. Wunde Augen starrten mich an.
    »Mein Gott!«, stieß ich hervor. »Kommen Sie rein! Was ist mit Ihnen?«
    Sie ließ sich auf mein Bett fallen, riss das Laken von der Matratze und hüllte sich damit ein. Sie legte den Kopf auf die hochgezogenen Beine und weinte leise.
    »Sagen Sie, was passiert ist!« Ich hatte mich neben sie gesetzt und ihr Gesicht zu mir hin gebogen. Ein merkwürdiger Geruch zog in meine Nase. Ich schnupperte. Es roch nach Pfefferminze.
    »Ich bin vergewaltigt worden!«
    Es fiel mir schwer, die Worte zu begreifen. Ich dachte an Kondis und seine unausgelebte Melancholie.
    »Wer?«
    Sie schluchzte. »Ich habe keine Ahnung.«
    »Wie ist es passiert?«
    »Es klopfte. Ich dachte, es sei ein Gast, und öffnete die Tür. Vor mir stand ein Mann mit einer Maske. Er drückte mich ins Zimmer zurück und hielt mir ein Messer vor den Bauch. Dann musste ich mich ausziehen und nackt aufs Bett legen.«
    Sie konnte nicht weiterreden. Ich wartete.
    »Ich muss mich waschen!«, schrie sie plötzlich und sprang auf.
    »Warten Sie!«, rief ich. »Es ist besser, wenn die Polizei die Spuren sieht. Und der Arzt!«
    »Polizei? Arzt?« Sie lachte auf wie eine Irre. »Hier in Griechenland? Soll ich mich zum Gespött machen? Wer wird mir glauben? Ich habe die Tür schließlich geöffnet und den Kerl reingelassen!«
    »Na und?«, widersprach ich. »Griechenland ist ein zivilisierter Staat. Warum sollte die Polizei Ihnen nicht glauben?«
    Sie antwortete nicht, sondern starrte nur vor sich hin.
    »Wie ging es weiter?«, wollte ich wissen.
    »Er sagte, er wolle mir nicht weh tun. Also sollte ich weder schreien noch mich wehren.«
    »Und was taten Sie?«
    »Ich lag auf dem Bett, und er riss mir das Nachthemd herunter. Dann tat er es.«
    »Hat er noch mehr gesagt?«
    »Du bist Daphne. Ich bin Apollon.«
    »Was?«
    »Genau das waren seine Worte.«
    Ich dachte an die Geschichte aus der Mythologie: Apollon verliebt sich in Daphne, die jungfräuliche Jägerin im Gefolge seiner Schwester Artemis. Sie entzieht sich ihm, er verfolgt sie. Sie verwandelt sich in einen

Weitere Kostenlose Bücher