Grappa 06 - Grappa und der Wolf
das ist die Story! Unverbesserlicher alter Mann stirbt an den Folgen seiner unstillbaren Sucht. Risiko. Die Geschichte hat sogar einen pädagogischen Aspekt. Was ist auf dem Foto zu sehen?«
»Feuerwehrmänner und der übliche Zinksarg. Dahinter Qualm und gaffende Nachbarn.«
Im Hintergrund krächzte der Polizeifunk.
»Du – ich muss wieder los«, erklärte Bluthund Willi Wurbs, »Unglück auf der Achterbahn. Ein Kind ist aus der Gondel gekippt. Aber nicht euer Verbreitungsgebiet. Die beiden anderen Fotos hast du in zwei Stunden.« Er legte auf.
Willi lieferte pünktlich. Die Brathähnchen auf der A 1 kamen fünfspaltig am besten. Die Flattermänner sahen aus wie kleine nackte Gartenzwerge ohne Kopf und mit drallen Schenkeln.
Ich recherchierte bei der Autobahnpolizei und erfuhr, dass ein fliegender Händler die Tonne gerupfter Vögel vom Fleck weg aufgekauft hatte. Für kleines Geld. Ich strich sofort alle männlichen Hühner für die nächsten Monate von meiner Speisekarte.
Der Rest des Tages war die übliche Routine. Mit der Bildunterzeile für den abgefackelten Rentner gab ich mir besondere Mühe: Trauriges Ende einer Suchtkarriere: Raucher starb in hellen Flammen.
Am frühen Abend war ich mit meiner Arbeit fertig. Eilig packte ich meine Sachen, denn ich hatte noch einen Besuch zu machen.
Die dunkelgrüne Limousine
Ein schwarzer Kater stolzierte mit hocherhobenem Schwanz auf einer Natursteinmauer entlang. Er hatte mich kurz und misstrauisch beäugt, um dann festzustellen, dass ich keine Gefahr für ihn sein würde. Ich blickte mich um – die Straße wirkte leer. Komisch, dachte ich, leere Straßen scheinen mich zu verfolgen, und das in einer Epoche der Übervölkerung.
Ich hatte Carlotta Rojas Privatadresse aus dem Telefonbuch. Mal sehen, ob sie zu Hause war. Als ich an ihrer Tür klingelte, erfolgte keine Reaktion. Ich schaute zu dem Haus hinauf. Fünf Etagen übereinander, mürrisch zugezogene Gardinen, verwaiste Balkone, über deren Brüstungen ab und zu Grünpflanzen nach unten hingen. Ein Wohnviertel, in dem die Menschen morgens aus dem Haus gingen, um zu arbeiten, und abends wiederkamen, um fernzusehen.
Mein Finger bewegte sich auf einen anderen Klingelknopf und senkte sich. Wenn ich erst in dem Haus drin sein würde …
»Ja, bitte? Wer ist da?«, schnarrte eine verzerrte Stimme.
»Mir ist die Tür zugeschlagen«, log ich, »könnten Sie bitte aufdrücken?«
Statt einer Antwort summte der Türöffner. Ich war drin. Die Kühle eines regelmäßig gewischten Hausflures empfing mich. Die Wohnungstüren waren zitronengelb, die einzig helle Farbe hier.
Gemächlich stieg ich die Treppen hinauf, immer wieder einen Blick auf die Namensschilder werfend. Die Bewohner dieses Hauses schienen eine Vorliebe für Trockenblumenkränze zu haben, die an die Türen genagelt worden waren. Auf einigen Fußmatten stand Herzlich Willkommen.
Carlotta Roja wohnte natürlich im obersten Stockwerk. Schwer atmend pausierte ich vor der geschlossenen Tür. Hier hing kein trockener Blumenkranz, sondern ein Poster, auf dem ein tangotanzendes Paar abgebildet war. Rot und schwarz mit weißer Schrift. Ich drückte den Klingelknopf, der einen harmonischen Dreiklang von sich gab. Wartete. Nichts.
Ich stieg eine halbe Treppe tiefer. Eine Frau jenseits der Fünfzig mit blondiertem Haar und Zigarette im Mundwinkel öffnete.
»Guten Tag«, begann ich, »entschuldigen Sie bitte die Störung. Ich bin mit Frau Roja verabredet, aber sie scheint nicht zu Hause zu sein. Wissen Sie vielleicht, wann sie zurückkommt?«
»Carlotta?« Es klang verblüfft. »Sie ist in Urlaub gefahren. Gestern. Sie muss vergessen haben, es Ihnen zu sagen.«
»Scheint so.« Ich blieb unschlüssig im Flur stehen. Die beiden mussten sich näher kennen, dachte ich, sonst hätte sie nicht von »Carlotta« gesprochen.
»Kam dieser Urlaub plötzlich?«, fragte ich.
»Warum wollen Sie das wissen? Wer sind Sie eigentlich?« Sie war misstrauisch geworden.
»Entschuldigung.« Ich spielte die Zerknirschte. »Ich heiße Baumann. Ich bin eine Kollegin. Carlotta sitzt im Zimmer gegenüber. Bei Hilfe ohne Grenzen .«
»Ach so. In der Firma muss man doch gewusst haben, dass sie in Urlaub wollte, oder?«
»Kann sein. Aber ich war selbst gerade verreist.«
Ihr Blick streifte mich. Ich war zwar nicht gerade tief gebräunt, doch meine vielen kleinen Sommersprossen verliehen mir eine gesunde Hautfarbe. Carlottas Nachbarin war beruhigt.
»Irgendwie war das schon
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