Grappa dreht durch
schuftet, sie macht den Haushalt und betreut das Kind, dann kommt die Entfremdung, er sieht nach anderen Frauen, sie leidet darunter, und schließlich stehen beide vor den Trümmern ihrer Ehe.
»Ich bat ihn, endlich eine feste Stelle anzunehmen. Damit wir jeden Monat mit einem festen Gehalt rechnen konnten. Ich war seine Reisen, seine Weiber, seine paar Kröten im Monat endgültig leid.«
Noch immer schwang Wut in Ritas Stimme. Er hatte sie tief verletzt in den letzten Jahren.
»Weißt du, was es bedeutet, den ganzen Tag allein zu sein? Und der Herr Ehemann treibt sich in der Weltgeschichte herum - drei Wochen Golfkrieg, dann Türkei und Syrien oder eben mal zum feuerspuckenden Pinatubo auf die Philippinen. Immer auf der Suche nach Geschichten, die die Welt bewegen. Nur nicht zu Hause bleiben und sich um Frau und Kind kümmern!«
»Rita! Er war Journalist. Ich kenne das, so ist das nun mal in dem Job! Hast du erwartet, daß sich alles um dich dreht?«
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Sie schwieg. Nach einer Weile meinte sie leise: »Nein, es sollte sich nicht alles um mich drehen. Aber ich hatte Aufmerksamkeit und Zuneigung erwartet. Du kannst das sicher nicht verstehen.«
»Konntest du dir denn keine eigene Existenz aufbauen? Irgend etwas tun, unternehmen, statt nur herumzusitzen?«
Sie schaute mich verständnislos an. »Wie denn? Ich kann doch nichts! Ich habe nichts gelernt!«
»Mensch, Rita! Es gibt tausend Sachen für Frauen wie dich. Soziales Engagement zum Beispiel. Das machen viele Hausfrauen, denen die Decke auf den Kopf fällt. Oder diese Kurse an der Volkshochschule. >Selbsterfahrung durch Schreiben< oder >Makramee für Hausfrauen<. Irgendeine kreative Beschäftigung eben.«
»Merkst du eigentlich, wie intolerant du bist?« wehrte sie sich. »Jeder, der nicht deine Energie hat, ist für dich der letzte Dreck!« »Ach, Rita! Du glaubst gar nicht, wieviel vom eigenen Schicksal in den eigenen Händen liegt. Wenn du nichts tust, kannst du auch nicht an deine Grenzen stoßen. Stößt du nicht an deine Grenzen, erweitern sie sich nie und du kannst keine Fortschritte machen.«
»Eine blasierte Lebensphilosophie ist das!«
»Du hättest dir auch einen Lover zulegen können. Genau wie es dein Mann dir mit seinen zahlreichen Affären vorgemacht hat.«
Sie seufzte tief und schaute mich dabei an, als sei ich ein unsensibles Monster. Ich kannte diesen Blick, nur hatte ich ihn seit fast zwanzig Jahren nicht mehr gesehen.
Es hat sich zwischen uns seit der Schulzeit nichts geändert, dachte ich, wir würden uns nie verstehen können. Die zwanzig zurückliegenden Jahre hatten die Kluft nur noch vertieft.
Rita massierte sich inzwischen die Halswirbel. Starrte unschlüssig vor sich hin, so, als überlege sie ein wichtiges Problem.
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»Da ist noch was«, meinte sie dann, »das du noch nicht weißt!«
»Dann sage es mir bitte!«
»Ich war ein paar Monate in der Nervenklinik. Ich hatte einen schweren Nervenzusammenbruch. Deshalb hat John den festen Job bei dem Fernsehsender angenommen und sein unstetes Leben vorübergehend aufgegeben.«
»Du warst in der Klapse? Warst du wirklich krank, oder wolltest du ihn nur an dich binden?«
»Mir ging es damals wirklich dreckig«, behauptete sie, »Johns Affären, das Alleinsein, die ewigen Geldsorgen und später dann die Schwierigkeiten mit Carola. Das war halt alles zu viel für mich.«
»Was war mit deiner Tochter? Rita, nun laß dir nicht jede Information aus der Nase ziehen! Was ist passiert?«
»Carola ist in schlechte Gesellschaft geraten!« gab sie zu.
»Drogen, Alkohol oder Kerle?«
»Drogen. John war völlig verzweifelt. Er gab mir die Schuld.«
»Du bist vom Schicksal wirklich nicht verwöhnt worden! Ist sie jetzt clean?« »Ich weiß nicht. Sie wohnt wenigstens wieder zu Hause.« »Wo ist sie jetzt?«
Es war bald 23 Uhr, eine Zeit also, zu der 16-jährige Mädchen aus bürgerlichem Hause sauber gewaschen und mit geputzten Zähnen im Bett zu liegen hatten.
»Ich habe keine Ahnung. Sie ist den ganzen Tag nicht da. Trifft sich mit irgendwelchen Leuten, die ihr einen Job verschaffen wollen. Aber was wird das schon für ein Job sein? Sie hat die Schule abgebrochen, hat nichts gelernt, und sie hat noch wegen Drogenhandels eine Jugendstrafe zur Bewährung laufen.«
Rita war aufgestanden und rannte im Zimmer auf und ab. »Setz dich wieder hin, Rita!« murmelte ich. »Es tut mir leid, daß ich etwas hart zu dir war. Ich konnte doch nicht ahnen ...« »Eine schöne Familie sind
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