Grappa dreht durch
forderte Harry, »und jetzt am hinteren Teil des Sattels festhalten und hochziehen. Nein, nicht so lahm! Ein bißchen mit Schwung! Ja, so ist es gut!«
Harry hatte seine Hände an meinen Po gelegt und kräftig mitgeholfen. Ich saß oben. Mein Blick fiel ins Casino, das von
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der Halle aus zu sehen war. Am Fenster standen mindestens zehn Leute und starrten zu uns herüber.
»Warum gucken die so?« fragte ich mißtrauisch.
»Das ist hier so üblich. Immer wenn jemand die erste Stunde hat, wird geglotzt. Die wollen sehen, wie jemand in der Bahn landet!«
»Bekommen Sie Geld, wenn‘s klappt?« fragte ich. Mir schwante Böses.
»Nicht direkt. Jeder Anfänger, der purzelt, muß eine Runde für alle ausgeben. Das ist guter alter Reiterbrauch.«
»Und wenn ich nicht falle, muß ich auch einen ausgeben, oder?«
Harry staunte über meine Einfühlsamkeit. »Genau. Weil Sie nicht gefallen sind.«
»Nette Sitten haben Sie hier«, seufzte ich, »können wir das Pferd jetzt in Bewegung setzen?«
»Aber klar. Deshalb sind Sie ja gekommen. Um mal richtig rangenommen zu werden. Dann los!«
Harry gackerte über diesen gelungenen Witz. Dann knallte er mit der Peitsche, und Heino schlurfte ins ausgetretene Rund. An einer Schnalle am Zaumzeug war eine Longe befestigt.
Der Schritt war eine Gangart, die mir sehr entgegen kam. Schön gemächlich. Ich versuchte ein Gefühl für die Bewegungen des Pferdes zu bekommen. »Und jetzt gehen wir in den leichten Trab über!« warnte Harry. Heino verstand auch ohne Nachhilfe durch die Reitpeitsche und bewegte sich schneller.
»Hände ruhig!« brüllte Harry. »Nicht am Zügel festhalten! Sie reißen Heino im Maul!«
Der Schimmel schlug mit dem Kopf. Mein Mut verließ mich langsam. Doch um Angst zu bekommen, blieb keine Zeit, denn Harry brüllte: »Und nun Gaaaa-Iopp!« Um das Pferd richtig in Stimmung zu bringen, schnalzte er noch mit der Zunge.
Das Tier unter mir wurde plötzlich zu einem schlingernden Schiff. Mein Körper wurde von einer Vorwärts-Seitwärts-Rückwärts-Aufwärts-Bewegung ergriffen. Der Galopp mußte
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Heinos liebste Gangart sein, denn er lief freudig Runde um Runde.
Ich krallte mich in seiner Mähne fest, legte mich nach vorn auf den Pferdehals und ergab mich in mein Schicksal. Irgendwann würde Heino stehenbleiben, spätestens wenn ein Eimerchen Hafer fällig wäre, allerspätestens wenn sein Herz versagen würde.
»Uuund ... stop!« Harrys Befehl kam sehr plötzlich. Heino gehorchte buchstäblich auf der Stelle. Ich wurde aus dem Sattel gehoben und rutschte über Pferdehals und Pferdekopf ins Sägemehl. Die Zuschauer im Casino gröhlten begeistert. Die nächste Runde war ihnen sicher.
»Haben Sie sich weh getan?« fragte Harry scheinheilig. Ich blickte ihn an. In seinem Blick lag die Überheblichkeit von 3000 Jahren Männerherrschaft. Galant bot er mir seinen Arm an.
Mein Blick schwor Rache. Allein rappelte ich mich hoch und stiefelte in Richtung Tür. Wenigstens laufen konnte ich noch, doch meine Schulter schmerzte ein bißchen.
Jetzt brauchte ich ein Bier. Ich klopfte das Sägemehl von meinen Kleidern, setzte die Reitkappe ab und betrat das Casino. Mein Timing war perfekt, denn an der Bar stand er.
Die Maßstiefel waren aus feinem, schwarzen Leder, die Reithose saß hauteng, und das Reitjackett aus englischem Tweed spannte sich über seinem Bauch. Als er mich sah, öffnete er den mittleren Knopf seiner Jacke und richtete sich auf.
»Hallo«, sagte ich, »keine gute Vorstellung, die ich da eben abgeliefert habe, oder?«
»Wir haben alle mal klein angefangen. Ich hoffe, Sie haben den Sturz gut überstanden?« sagte eine tiefe, wohlklingende Stimme zu mir.
»Mein Kreuz schmerzt etwas. Morgen werde ich wohl Muskelkater haben. So ein Pferd ist ja ziemlich groß, wenn man von oben hinunterfällt.« Meine Stimme hatte einen schmeichelnden Klang, dem eine winzige Brise weibliche Schwäche
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beigemischt war. Ein Cocktail, den ich extra für diesen Abend angerührt hatte.
»Machen Sie sich nichts daraus«, tröstete er mein geschundenes Selbstbewußtsein. »Es ist schön, wenn der Schmerz nachläßt. Beim zweiten Mal klappt es bestimmt schon besser. Harry zieht bei Anfängern gern mal eine Schau ab. Trinken wir ein Bier zusammen?«
Ich nickte und schenkte ihm ein - so hoffte ich - betörendes Lächeln.
Ich gab der Bedienung ein Zeichen. Sie füllte die zehn Pils auf, die neben dem Zapfhahn warteten, und trabte an.
»Was darf‘s denn
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