Grappa und die keusche Braut
Schmitz. Mandelhörnchen für den Nachmittag.«
Die Tür des Bäckerladens war verschlossen. Verblüfft rüttelte ich an dem Griff. Durchs Fenster erkannte ich sofort, dass etwas nicht stimmte. Einige Körbe lagen auf dem Boden, daneben waren Brotlaibe und Teilchen verstreut.
»Hier ist was passiert!«, stieß ich hervor. »Wo ist Frau Schmitz?«
»Keine Ahnung, Grappa!« Pöppelbaum war genauso hilflos wie ich.
»Sieht nach Einbruch oder Überfall aus. Wir müssen die Polizei rufen!«
»Ich glaub, die war schon da. Guck mal!« Der Bluthund streckte seinen Finger in Richtung eines Polizeisiegels, das über den Spalt zwischen Rahmen und Tür geklebt war.
»Hoffentlich ist der Schmitz nichts passiert«, rief ich. »Ich muss mich sofort erkundigen!«
Im Auto wählte ich die Nummer der Polizeipressestelle. Der Kollege dort hatte von nichts eine Ahnung und niemanden in Reichweite, den er fragen konnte – Schloss Waldenstein forderte sämtliche Kräfte.
»Aber es muss dort einen Einsatz gegeben haben. Das Polizeisiegel klebt an der Tür«, wandte ich ein.
»Ich kann Ihnen zu dem Fall nichts sagen«, tönte es aus dem Hörer. »Gedulden Sie sich bitte und fragen Sie später noch einmal nach.«
Mir fiel nichts ein, was ich noch hätte tun können.
Während der Fahrt überkamen mich Erinnerungen an meine Schulzeit. Sie war schwierig gewesen. Das hatte vor allem an meinem manchmal ungestümen Verhalten gelegen. Mein Gefühl für Gerechtigkeit war seit der Kindheit gut ausgeprägt und ich neigte zu harschen Reaktionen – auch vor Publikum –, wenn mir etwas ungerecht erschien. Ich hatte mich sehr oft über meine Lehrer geärgert. Daher hatte ich mehr als einmal die Fäuste geballt. Aber zu einer Waffe greifen und Menschen töten? Nein. Das, was heute geschehen war, war ganz und gar unbegreiflich.
In der Redaktion erwartete uns Jansen. Er hatte sämtliche Informationen über Schloss Waldenstein im Netz zusammengesucht und die wichtigen ausgedruckt. Auch eine Liste mit den Namen der Lehrerinnen und Lehrer war dabei.
Ich ging die Liste durch. »Lara Lindenthal – das ist sie. Deutsch und Philosophie.«
Jansen nickte zufrieden und druckte ihr Foto auf dem Farbdrucker aus. »Oha!«, rief er.
Die Frau auf dem Foto war auf eine aufregende Art attraktiv. Dunkles, dichtes Haar, das nur mühsam zu einer Hochsteckfrisur gebändigt worden war, ein bleiches Gesicht mit dunklen Augen und einem vollen, blutrot geschminkten Mund. Die Augenbrauen in Form gezupft, an den Ohren brave Zuchtperlen und um den Hals eine kurze Goldkette mit Kruzifix.
»So brav ist die nicht, wie die sich gibt«, redete Jansen weiter. »Da helfen Kreuz und Zuchtperlen nicht wirklich.«
»Was meinst du?«, fragte ich.
»Dieser Blick, Grappa! Wenn du so gucken könntest, wärst du nicht beim Tageblatt, sondern beim Playboy, und zwar nicht als Schreiberin.«
»Was für ein ungewöhnliches Kompliment«, spielte ich die Beleidigte. »Die guckt doch ganz normal.«
»So einen Blick verstehen nur Männer«, grinste mein Chef.
»Echt?«
Ich schaute mir das Foto erneut an. Je länger ich es betrachtete, umso mehr konnte ich nachvollziehen, was Jansen meinte. Der Blick der Lehrerin hatte etwas Laszives. Oder entstand dieser Eindruck nur wegen der schweren Augenlider?
»In diese Frau ist jeder Schüler über fünfzehn verschossen«, behauptete Jansen. »Vielleicht hat der Täter sie deshalb geschont. Weil sie so schön ist.«
»Ich war nie in einen meiner Lehrer verliebt«, berichtete ich. »Die erinnerten immer an eine Kombination aus Rübezahl und Rumpelstilzchen.«
»Du taugst halt nicht fürs Romantische, Grappa. Ich habe mich mit schöner Regelmäßigkeit in junge Referendarinnen verguckt – aber zum Austausch von Körperflüssigkeiten ist es leider nie gekommen. Und jetzt geh schreiben.«
Ich verzog mich in die Einzelzelle, fuhr den PC hoch und holte mir Pöppelbaums Fotos auf den Monitor. Ich entschied mich für eine Totale des Gebäudes. Zwei Bilder zeigten die Polizeiaktion und ein weiteres Foto den Abtransport der Verletzten. Auf der Homepage des Internates stieß ich auf eine Seite, auf der das pädagogische Konzept des Schlossinternates vorgestellt wurde. Die Wahl der richtigen Schule entscheidet über die Zukunft Ihres Kindes – las ich.
Als Eltern möchten Sie Ihren Kindern alle Möglichkeiten eröffnen, im Leben Erfolg zu haben. Sie wissen aus persönlicher Erfahrung, dass es in der
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