Grappa und die keusche Braut
Video. Aber das müssen wir noch überprüfen.«
»Oh, danke!«, meinte ich. »Das ist wirklich neu.«
»Ich kümmere mich jetzt um deine Bäckerin«, kündigte Kleist an. »Und danach trinken wir ein Glas zusammen. Einverstanden?«
Zehn Minuten später wusste ich Bescheid: Anneliese Schmitz war am Morgen in ihrer Bäckerei überfallen worden. Von Jugendlichen.
»Zuerst haben sie Brötchen verlangt, wollten sie aber nicht bezahlen. Als Frau Schmitz drohte, die Polizei zu rufen, verwüsteten sie den Laden und schlugen Frau Schmitz nieder.«
»Ist sie schwer verletzt?«
»Nur Platzwunden. Und vielleicht eine Gehirnerschütterung. Sie ist zur Beobachtung ins Krankenhaus gebracht worden.«
»Habt ihr die Täter geschnappt?«
»Nein. Aber es gibt eine Täterbeschreibung. Reden konnte Frau Schmitz nach dem Überfall noch.«
Ich lachte erleichtert auf. »Das wär auch schrecklich, wenn sie verstummen würde. Ich besuche sie morgen.«
Kleist nannte mir den Namen der Klinik und unterbrach das Gespräch dann plötzlich. Im Hintergrund hörte ich Stimmen.
»Maria«, sagte Kleist ernst. »Ich muss Schluss machen. Aus unserem Treffen wird nichts. Der Vater des Täters ist eingetroffen. Ich muss mit ihm reden.«
Als ich zu Hause Kleists Auto in meinem zweiten Carport stehen sah, machte mein Herz einen kleinen Hüpfer. Aber dann wurde mir klar, dass er am Morgen abgeholt worden war. Wenn seine Kollegen ihn hier mit dem Hubschrauber aufgenommen hatten, hatte die Nachbarschaft ja was zu gucken gehabt.
Ich zog die Schuhe aus, warf einen Blick in den Abschminkspiegel des Gästeklos und inspizierte dann die Küche. Kleist hatte aufgegessen, aber nicht aufgeräumt. Die Teller standen auf dem Tisch und die Pfanne enthielt noch das Fett von der Spiegelei-Braterei. Ich räumte alles weg. Immerhin hatte Kleist den Käse in den Kühlschrank zurückgelegt.
Als ich die Tür des Kühlschranks öffnete, fiel mir das Rinderfilet ins Auge, das wir eigentlich am Abend hatten zubereiten wollen. Ich nahm es heraus und wetzte mein schärfstes Messer, um extreme Schärfe zu erreichen. Dann schnitt ich hauchdünne Scheiben und arrangierte sie in Kreisen auf einem großen Teller. Die Vinaigrette war schnell gemacht. Olivenöl und der Saft einer Zitrone. Aus dem Garten noch einige Blätter Salbei und königliches Basilikum. Den Parmesan dreimal über die Reibe und schon war das herrlichste Carpaccio fertig. Ein Glas Weißen dazu – so konnte ich mich am Rechner niederlassen.
Wo findet man Videos? Bei Youtube.com. Bis tief in die Nacht durchforstete ich das Portal nach einem Video, das eine Amoktat in dem Internat ankündigen sollte. Ich tippte den Begriff Schloss Waldenstein in die Suchfunktion ein und stieß auf Filme, die Schülerinnen und Schüler beim Ausritt zeigten, beim Kunstunterricht und auf einer Klassenfahrt. Aber kein Video, in dem ein Schüler seine Mordtat ankündigte. Vielleicht wählte ich die falschen Begriffe. Oder das Portal war falsch gewählt. In schülerVZ, das Online-Netzwerk für junge Leute, kam ich nicht rein. Ich war nicht registriert und zur Registrierung fehlte mir das Empfehlungsschreiben eines anderen schülerVZ- Nutzers.
Ich war müde. Die Bilder verschwammen vor meinen Augen. Mein kühles, einsames Bett wartete.
Bildungsurlaub
Am Morgen hatte ich das untrügliche Gefühl, am Abend zuvor etwas Wichtiges vergessen zu haben. Ich ließ das Gespräch mit Kleist noch einmal Revue passieren und putschte mich dabei mit einem extrastarken Espresso auf. Der Hauptkommissar würde inzwischen mit dem Vater des Täters gesprochen haben. Aber er würde mir sicherlich nicht erzählen, was die Vernehmung ergeben hatte.
Ich sah mir noch einmal die Homepage von Schloss Waldenstein an. Die Lehrerseiten hatte ich mir bereits alle angeguckt, jetzt überprüfte ich die Seiten, auf denen einzelne Schülerinnen und Schüler zu Wort kamen. Manche beschrieben den Schulalltag in euphorischen Worten, lobten die Lehrer die zahlreichen Aktivitäten und das angenehme Miteinander. Alles diente natürlich dem Ziel, ein leistungsstarker und gesellschaftlich kompatibler Mensch zu werden.
Ich geriet auf die Präsentation der Schülervertretungen. Da wusste ich plötzlich, was mir durchgegangen war. Kleist hatte erwähnt, dass der Täter Schulsprecher gewesen war. Von dem Foto strahlten mir zwei junge Menschen entgegen. Ich las die Bildunterschrift: Unsere beiden Schulsprecher Patrick Sello und Caroline von Fuchs,
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