Grauzone: Der 13. Fall für August Häberle (German Edition)
Traditionell
lodern diese Feuer seither am zweiten Wochenende nach Fronleichnam.
Am
Samstagabend, das wusste Karin Waghäusl, flackerten diese Leuchtfeuer von den
Bergkämmen beim Haldensee; am Sonntagabend setzte sich der stille Lichterzauber
über Tannheim, Zöblen und Schattwald fort, wo die Symbole immer größer und
vielfältiger werden.
Karin
Waghäusls Gedanken schweiften ab. Gedenk- und Feiertage – welche
Bedeutung hatten sie denn überhaupt noch? Tatsächlich waren doch Himmelfahrt
und Fronleichnam, die gerade erst ein paar Wochen zurücklagen, nur noch
›Pfeiler‹ für ›Brückentage‹. Denn wer von denen, die sich zum Beispiel mit
Himmelfahrt vier freie Tage gönnten, hatte schon eine Ahnung, was es mit diesem
Feiertag auf sich hat, dachte sie. Manche mochten wahrscheinlich meinen,
Himmelfahrt sei der Tag der Fliegerei – vielleicht zum Gedenken an die Flugpioniere oder die erste Mondlandung von
1969. Eigentlich verwunderlich, dass die Fluglinien an diesem Tag keine Schnäppchenflüge
anboten.
Wer nutzte eigentlich diese geschenkte freie Zeit für
das, wozu sie eigentlich gedacht war? Zum Besuch eines Gottesdienstes und zum
Gedenken an Jesus, dessen vergeistigter Körper nach der Auferstehung auf
wundersame Weise die materielle Welt verlassen haben soll? Karin war tief davon
überzeugt, dass die heutige Gesellschaft weit davon entfernt war, solche
christlichen Werte zu achten und ihre Traditionen zu pflegen. Schon oft hatte
sie im Kreis ihrer gleichgesinnten Freunde darüber philosophiert, weshalb es
die Menschen in den hiesigen Breitengraden nicht mehr wagten, sich öffentlich
dazu zu bekennen. Lag es daran, dass die Meinungsmacher in den Medien gleich
alles als Hokuspokus abtaten, was nur annähernd etwas mit Glauben zu tun hatte?
Für
viele Männer jedenfalls war der Himmelfahrtstag nichts anderes als der
Vatertag, der nahezu ungehemmte Ausgelassenheit versprach. Vor allem aber
alkoholische Trinkgelage.
Himmelfahrt.
Allein dieses Wort hinterließ bei Karin einen schalen Geschmack. Viel zu sehr
erinnerte es sie ans Fliegen. Für Mario war es gewiss kein Flug ins Licht
gewesen, sondern in die Ewigkeit.
8
Weil auch die Bordsprechanlagen
nicht mehr funktionierten, hatte sich eine Stewardess in der Finsternis durch
die chaotischen Verhältnisse zum Cockpit vorgedrängt und den Stromausfall
gemeldet. Beim Öffnen der Tür war ihr beißender Qualm entgegen geschlagen, der
sich sogleich nach weiter hinten ausbreitete und für neue Entsetzensschreie
sorgte.
Die
Piloten registrierten nur beiläufig das, was die panische Flugbegleiterin
gestammelt hatte, und forderten sie mit einer schnellen Handbewegung auf, die
Tür wieder von außen zu schließen. Kapitän Frohberger meldete den Lotsen, dass
die SR 111 über der Bucht den Treibstoff ablassen werde, um nach der erfolgten
Volldrehung sofort den Landeanflug zur Bahn 06 fortzusetzen. Doch in diesen
Sekunden der allerletzten Entscheidung schien es so, als habe sich das Feuer – wo
immer es sein mochte – zu den wichtigsten Systemen der Maschine durchgefressen.
Innerhalb
weniger Sekunden fiel der Gierdämpfer aus – jene
Automatik, die das Drehen um die Hochachse verhindert. Die Maschine begann zu
schlingern, worauf die Piloten einen neuerlichen Notfall meldeten. In den
folgenden acht Sekunden fielen nacheinander alle wichtigsten Instrumente aus.
Unterdessen gab die Flugsicherung die Erlaubnis zum Ablassen des Treibstoffes.
Aber SR
111 bestätigte diesen Funkspruch nicht mehr. Aus den Kopfhörern im Tower waren
nur noch unverständliche Gesprächsfetzen zu vernehmen. Vermutlich
Schweizerdeutsch.
Seit
dem Start auf dem John-F.-Kennedy-Airport waren exakt eine Stunde, sieben
Minuten und 46 Sekunden vergangen.
In
Mitteleuropa zeigten die Uhren 2:25 Uhr.
Und
Karin Waghäusl hatte geschlafen. Weshalb sie gerade jetzt aufwachte, führte sie
auf die Unruhe zurück, die sie jedes Mal beschlich, wenn ihr Mann nach so
langer Zeit wieder zurückkam. Es war die pure Vorfreude.
Ganz
gewiss nichts anderes, redete sie sich ein.
9
Sie zitterte. Die Tacho-Nadel
hatte sich auf 80 eingependelt. Karin Waghäusl war immer langsamer geworden,
obwohl ihr die nahezu leere Autobahn freie Fahrt ermöglicht hätte. Aber wenn
sie an diesen Tag im September denken musste, formte sich der Bericht über die
Absturzursache, den sie viel später erhalten hatte, zu einem Film. Obwohl
offenbar geklärt werden konnte, was den Brand ausgelöst hatte, nämlich ein
Kabel
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