Grave Mercy Die Novizin des Todes
Ich hebe meine Röcke, bringe mich in die richtige Position und bete, dass ich die Flasche treffen werde.
Die Nonne wendet sich wieder Annith zu. Ihre Stimme ist leise, aber mein Gehör ist scharf von so vielen Jahren, die ich damit verbracht habe, auf die Launen meines Vater zu lauschen.
»Hat die ehrwürdige Mutter sie geprüft?«
»Ja«, erwidert Annith. »Mit dem Wein.«
»Gelobt sei Mortain!« Sie klingt wirklich und wahrhaftig dankbar, und ich kann mir beim besten Willen nicht vorstellen, warum. Als ich hinter dem Wandschirm hervorkomme, steht ein Ausdruck des Jubels auf ihrem reizlosen Gesicht. Sie nimmt mir die Flasche ab, und Bewunderung leuchtet in ihren Augen, als habe sie gerade entdeckt, dass ich nicht einfach ein Schaf bin, sondern ein preisgekröntes Schaf. »Annith wird dir eins der Betten geben, während ich einen Trank mische, um deine Genesung zu beschleunigen.« Sie lächelt noch immer, als sie sich wieder ihrem Arbeitstisch zuwendet.
»Hier drüben.« Annith’ Hand berührt sanft meinen Ellbogen, während sie mich zu einem der Betten führt. Es ist bezogen mit sauberer weißer Wäsche, und ich habe Angst, sie schmutzig zu machen. »Zieh deine Kleider aus«, befiehlt Annith. »Ich werde dir ein sauberes Hemd holen.«
Ich erinnere mich an den Befehl der ehrwürdigen Mutter, was Gehorsam betrifft, aber ich stelle fest, dass ich mich nicht dazu überwinden kann zu tun, was sie von mir verlangt. Genauso wie der Staub von meinem Gewand die saubere Wäsche verschandeln wird, bin ich mir sicher, dass der Anblick meiner grässlichen Narbe Annith’ Meinung von mir verderben wird. Ich kenne sie erst seit wenigen Minuten, aber ich habe bereits Angst, ihre Zuneigung zu verlieren.
Sie kehrt zu mir zurück, in den Händen ein Hemd, dem der saubere, frische Geruch von Lavendel anhaftet. Als sie sieht, dass ich immer noch angezogen bin, werden ihre Züge weicher. »Brauchst du Hilfe?«
»Nein.« Ich schlinge die Arme um meinen Körper. »Es ist nur so … ich … mein Fleisch ist narbig und hässlich, und ich möchte nicht, dass du mich abstoßend findest.«
»Unsinn«, sagt sie und tätschelt meinen Arm. »Hier im Kloster von St. Mortain haben wir alle Narben.« Als sie sich abwendet, um mir einen Moment der Ungestörtheit zu schenken, kann ich nicht umhin, mich zu fragen, was ihre Narben sein mögen.
Ich schlüpfe aus meinem alten, zerrissenen Leibchen, davon überzeugt, dass ich noch immer den Gestank von Schweinen riechen kann, wo Guillo es berührt hat.
» Matronas Fluch , nicht wahr?«
Beim Klang von Schwester Serafinas Stimme zucke ich zusammen. Verzweifelt darauf bedacht, mich zu bedecken, zerre ich das neue Hemd so schnell über meinen Kopf, dass mir schwindelig wird. Ich warte, bis das Gefühl vergeht, bevor ich mich zu der Nonne umdrehe. »Wie bitte?«
Sie deutet auf meinen Rücken. »Was deine Mutter benutzt hat, Kind. Als du in ihrem Schoß warst.«
»Ich kenne den Namen des Giftes der Kräuterhexe nicht.«
»Aber ich.« Ihre Augen sind voller Mitgefühl. »Nur Matronas Fluch kann eine solche Narbe hinterlassen. Und nun ab ins Bett mit dir.«
Annith steht abwartend daneben, während ich ins Bett steige, dann beugt sie sich vor und zieht die Decken um mich herum fest. Als sie fertig ist, reicht Schwester Serafina mir eine kleine Tasse mit einer abscheulichen Flüssigkeit, von der sie schwört, dass sie mir helfen wird. Ich trinke das Gebräu – das nach verfaulten Beeren und altem Heu schmeckt –, dann gebe ich ihr die Tasse zurück. Das Gefühl, dass man wegen mir so einen Wirbel veranstaltet, ist neu, und ich kann nicht sagen, ob es mir gefällt oder nicht.
Annith setzt sich auf einen Hocker an meinem Bett, dann schaut sie über die Schulter, um sich davon zu überzeugen, dass die Nonne an ihren Arbeitstisch zurückgekehrt ist. »Du kannst es vielleicht nicht nachempfinden«, sagt sie mit leiser Stimme, »aber Schwester Serafina ist hocherfreut über deine Ankunft. Abgesehen von ihr selbst ist niemand sonst hier immun gegen die Wirkungen von Gift, und sie hat so viel damit zu tun, das Kloster mit Vorräten zu versorgen, dass sie kaum noch nachkommt. Es wird wahrscheinlich eine deiner wesentlichen Pflichten sein, wenn du kuriert bist, ihr im Labor zu helfen.«
»Bei Giften?«, frage ich. Ich bin mir nicht sicher, ob ich sie richtig verstehe.
Annith nickt, und ich schaue zu der Nonne hinüber, die sich wieder am Arbeitstisch zu schaffen macht. Mir schwirrt der Kopf vor weiteren
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