Grave Mercy Die Novizin des Todes
spricht, ist ihre Stimme so schwach, dass ich mich vorbeugen muss, um sie zu hören. »Gibt es ein Gift, dass das Glied eines Mannes schrumpfen und abfallen lässt?«, fragt sie.
Als Schwester Serafina antwortet, ist ihre Stimme erfüllt von einer grimmigen Entschlossenheit, für die ich sie sofort liebe. »Wir werden eins erschaffen, du und ich. Jetzt komm. Geh wieder ins Bett, und wir werden dir all das und noch mehr erzählen.«
Sybella mustert uns lange Sekunden, dann zuckt sie die Achseln, als sei es ihr gleich, ob sie hierbleibt oder nicht. Aber sie kann uns nichts vormachen. Sie tritt neben mein Bett. »Rutsch rüber«, befiehlt sie.
Überrascht sehe ich Schwester Serafina an, die mir bedeutet, dass die Entscheidung bei mir liegt. Ich sehe wieder Sybella an. Unsere Bekanntschaft ist noch so zerbrechlich, dass ich nicht Nein sagen kann. Außerdem ist das Klosterbett besser und breiter als alle Lager, auf denen ich je geschlafen habe. Ich mache ihr Platz, und sie kriecht unter meine Decken, um sich neben mich zu legen. Während wir zusammen in dem Bett liegen, lullen uns die Nonnen mit sanften Stimmen ein und singen ihr Lied von Dunkelheit und Tod.
Als ich erwache, fällt blassgoldenes Sonnenlicht in den Raum. Ich richte mich auf, überrascht, dass ich ganz allein bin. Nicht nur Sybella ist verschwunden, es ist auch keine Nonne da, die geschäftig am Arbeitstisch steht oder die Betten aufschüttelt.
Gerade als ich mich frage, was ich als Nächstes tun soll, taucht Annith auf, so strahlend und liebreizend wie der Morgen selbst. Sie lächelt, als sie sieht, dass ich wach bin, und stellt das Tablett, das sie trägt, auf den Arbeitstisch. »Wie fühlst du dich?«, fragt sie.
Ich strecke mich und reibe die Schultern am weichen Stoff meines Hemdes. »Gut«, antworte ich, erstaunt darüber, dass es wahr ist. Der Heiltrank von Schwester Serafina ist in der Tat ein kleines Wunder.
»Möchtest du frühstücken?«
Ich stelle fest, dass ich halb verhungert bin. »Ja«, antworte ich, und sie bringt mir das Tablett. Sie reicht mir einen Humpen dünnes Bier und einen Laib Brot, frisch aus den Klosteröfen. Es steht sogar ein Topf mit Ziegenkäse auf dem Tablett. Ich streiche den Käse auf das Brot, beiße ab und stelle fest, dass es das Köstlichste ist, was ich je gegessen habe. Mein Hunger, der sich während der ganzen Reise quer durchs Königreich nicht gemeldet hat, macht sich jetzt bemerkbar, und ich verschlinge das Frühstück binnen Sekunden. Annith sieht mich besorgt an. »Möchtest du noch mehr?«
Ich will schon Ja sagen, denn ich habe gelernt, niemals Nein zu Essen zu sagen, dann begreife ich, dass ich bereits satt bin. »Nein«, erwidere ich und freue mich, dass ich daran denke, ein »danke« hinzuzufügen.
Annith lächelt und lässt sich auf einen Hocker neben meinem Bett sinken. Sie streicht sich ihre Röcke über den Knien glatt, und ich würde liebend gern nach Sybella fragen, aber ich habe Angst. Angst vor dem, was während der Nacht aus ihr geworden sein mag. Angesichts meines eigenen friedlichen Schlummers durchzuckt mich jetzt ein Stich schlechten Gewissens.
»Sobald du dich dem gewachsen fühlst«, sagt Annith, »sollst du zu Schwester Serafina in ihr Giftlabor gehen.«
Gift. Das Wort genügt, und ich werfe meine Decken zurück und schwinge die Füße auf den Boden. »Ich bin jetzt bereit.«
Annith legt besorgt die Stirn in Falten. »Bist du dir sicher? Du bist doch erst ganz kurz hier.«
»Ja, aber ich hatte fünfTage, um mich während meiner Reise von meinen Verletzungen zu erholen, und, das muss ich wirklich sagen, der Heiltrank und das Frühstück haben noch viel mehr dazu beigetragen, mich gesund zu machen.« Ich bin ebenso hungrig auf diese Arbeit, die mir versprochen wurde, wie ich zuvor hungrig auf das Brot war. »Ich würde schrecklich gern jetzt anfangen, wenn es erlaubt ist.«
»Natürlich! Ausruhen oder arbeiten, die Wahl liegt bei dir.« Annith holt mir ein Gewand aus einem Holzschrank. Es ist ein taubengraues Habit, wie sie es trägt, und als ich es über den Kopf streife, kann ich spüren, wie ich in dieses neue Leben gleite, das mir geschenkt wurde.
Annith hilft mir, mir das Haar zu kämmen, und ihre Finger sind sanft, selbst inmitten all der verhedderten Strähnen. Als ich präsentabel bin, führt sie mich aus dem Raum und durch ein verwirrendes Labyrinth von Gängen. Sie öffnet eine dicke Tür, und wir treten ins Freie. Ich muss in der grellen Sonne erst einmal blinzeln,
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