Grayday
weißen Bildschirms fiel ihm nichts ein, was er hätte sagen sollen.
Tief unter ihm, in einem der neueren Gebiete der North Okhla Industrial Development Area (unter ihrem Akronymnamen Noida bekannt), gab es mehr zu sagen. Hupen bitte. Bye Bye Baby. Maha Lotto. Dental Clinic. Jeder wollte die Aufmerksamkeit von jedem, und sie wollten sie jetzt, von der State Bank of India bis runter zu Bobbys Juice Corner direkt an der Straße. Nr. 1 an Erschwinglichkeit. Für Unannehmlichkeiten bitten wir um Entschuldigung. Lane Driving is Sane Driving. Sunny Honey. Anzugsstoffe Hemdenstoffe. Die ganze action von Noida zischte durch Arjuns Sensorium, ohne eine Spur zu hinterlassen. Liebestraum. Hupen bitte. Aishwarya Rai auf einem Schooner, was immer das ist, irgendeine Art Schiff, im Hafen von Sydney. Oder Venedig. Auf einem Schooner in Venedig.
Hupen bitte?
Trotz der häufig geäußerten Befürchtungen seines Vaters war Arjun sich sicher, dass er nicht in Gefahr war, seine Tagträume mit der Wirklichkeit zu verwechseln. Seine Sehnsüchte drückten sich als Bilder einer Welt aus, die die Bedeutung der Prinzipien Vorhersage und Kontrolle richtig einschätzte. Wirklichkeit war Noida. Die Kluft war zu groß.
Die Werbelyrik nannte Noida »das neue industrielle Märchenland der Nation«. Mitte der 70er Jahre hatten die staatlichen Behörden von Uttar Pradesh erkannt, dass das Gebiet am Ostufer des Flusses Yamuna sich rasch de facto zu einem Vorort von Delhi entwickelte. Ackerland machte einem chaotischen Gewirr von Fabriken und Baracken Platz. Die Regierung startete ein Grundstücks-Enteignungsprogramm, und in einer Atmosphäre von Korruption und Spekulation, unter Vertreibung vieler Menschen und der Bereicherung einiger weniger über ihre wildesten Träume hinaus legte sie ein riesiges Raster an, das prompt vor Leben barst und sich in weniger als zwanzig Jahren zu einer Halbmillionenstadt entwickelte. Einkaufszentren, Multiplexe, Tempel und Stadien kämpften um einen Platz zwischen Hektar auf Hektar neuen zwanzigstöckigen Wohnblocks, die in jeder denkbaren Variante eines diskreten Billigmodernismus errichtet worden waren.
Der Bus entließ ihn an der Ecke, und er bahnte sich den Weg zwischen Bauschutt und Stapeln unverlegter Abwasserrohre zu den Toren der BigCorp Industries Housing Enclave, die wenig später nach dem Generaldirektor der Gesellschaft in HD Kaul Colony umbenannt werden sollte. Er grüßte den chowkidar, der, über ein Transistorradio gebeugt, das Kricketmatch verfolgte, und begab sich über den ausgedörrten Rasen in den mit Stein verkleideten Turm Nummer Vier, Gleneagle House. Die Wohnung Nummer Achtzehn im Gleneagle House war Mr. Mehta Seniors größter persönlicher Stolz, der Hauptvorteil seines Umzugs. Der Schritt aus dem Regierungsdienst (dessen Bedeutung im Laufe der Jahre so ausgehöhlt worden war) ins Private hatte sich bezahlt gemacht. Die Mehtas waren nicht länger die Familie eines Kleinstadt-Verwaltungsbeamten, sondern moderne Menschen, die am großen indischen Boom teilnahmen. Die Wohnung war der Beweis. Sie stand für »Die Welt«, mit der sein Sohn verhängnisvollerweise den Kontakt verloren zu haben schien.
Im wirklichen Leben starrte Arjun bloß auf seine Füße, wenn sein Vater ihm eine Standpauke hielt. In seinem Kopf formulierte er elegante Widerlegungen. Seine Tagträume waren in vieler Hinsicht Noida unendlich überlegen. Noida war Chaos. Ein richtig geregelter Tagtraum war formal geschlossen. Er konnte auf Befehle reagieren und sich auf klare Operationen hin ummodeln. Resultate konnten je nach Erfordernis eingebaut werden. Fraglos die vorzuziehende Wahl.
Doch Träumen wurde bestraft. Wenn du die Welt ignorierst, neigt sie dazu, dich ihrerseits zu ignorieren. Obwohl er mehrere Vielseitigkeitspreise seiner Klasse besaß und einmal Zweiter in einem nationalen Computer-Problemlösungs-Wettbewerb geworden war, waren Arjuns staatlich anerkannte Auszeichnungen nicht so imposant, wie sie hätten sein sollen. Bei den IIT-Aufnahmeprüfungen hatte er schlecht abgeschnitten, ein Versagen, das seine enttäuschten Lehrer auf »mangelnde Konzentration« zurückführten. Genauer gesagt, war es aber einer Konzentrationsfehlleitung zuzuschreiben, da der Star-com.sci-Schüler sich während der entscheidenden Überarbeitungszeit darauf kapriziert hatte, eine Datenbank seiner Lieblingsfilme der Siebzigerjahre anzulegen, abfragbar nach Titel, Besetzung, Regisseur, Kassenerfolg und persönlicher kritischer
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