Green, Simon R. - Todtsteltzers Erbe
brauchten heutzutage nur noch dreißig
Sekunden, um sich nach einem Schuss neu aufzula
den. Allerdings war das Schwert natürlich die bevor
zugte, die ehrenvollste Waffe. Beides nützte hier und
heute nicht viel. Der Gravoschlitten wies zahlreiche
eingebaute Schutzanlagen auf, aber keinerlei Offen
sivbewaffnung.
Zwanzig Elfen … Denk nach, verdammt, denk
nach!
Lewis lenkte den Schlitten dicht über den Köpfen
der auf- und abwogenden Menge hinweg. Dicht ge
nug, um die Leichen zu zählen, das Blut und das zer
fetzte Fleisch zu sehen und die von fremdem Ver
gnügen gebannten Gesichter. Was zum Teufel taten
zwanzig dieser Bastarde an einer Stelle und ganz of
fen? Vier oder fünf waren normalerweise ihre Team
größe, und selbst in solcher Stärke wirkten sie ihre
bösen Taten am liebsten aus einem sicheren Versteck
heraus, gerade dicht genug an ihren Opfern, um sie
zu beeinflussen, ohne sich dabei selbst zu zeigen …
Aber je enger die Verbindung war, je mehr Gehirne
die Elfen zu steuern vermochten, desto größer waren
das Vergnügen und die zu gewinnende Energie.
Aber vielleicht, nur vielleicht, wollten sie es ja mit
eigenen Augen sehen …
Zwanzig Elfen. Hunderttausende Opfer. Das war
nicht einfach ein rasender Festschmaus, wurde Lewis
allmählich klar. Es war eine Bekanntmachung. Eine
Warnung, eine Drohung, eine Beleidigung des desig
nierten Königs. Lass uns in Ruhe! Du regierst uns
nicht. Niemand tut das, nicht einmal unsere eigenen
Leute. Lass uns in Ruhe, oder wir vollbringen
schreckliche, fürchterliche Dinge. Wir zwingen dein
Volk, sich gegenseitig niederzumetzeln, und verspei
sen die Reste mit Löffeln. Zu tun, was wir wollen, so
lautet für uns die Gesamtheit des Gesetzes.
Wir sind Elfen. Ihr seid nur Menschen. Wir tun,
was wir wollen, und ihr könnt uns nicht aufhalten.
Falsch, dachte Lewis kalt.
Und noch während er sich überlegte, was zu tun
war, zeigte sich der Feind. In ihrer Arroganz, ihrem
Hass auf die normale Menschheit und ihrer Verach
tung für sie richteten sich die Elfen aus der besesse
nen Menge auf, um sich zu zeigen und ihren Feind
zu verspotten. Zwanzig ganz normal aussehende
Männer und Frauen stiegen in die Luft auf, schweb
ten hoch über der sich windenden Masse, verspotte
ten die beiden Paragone und trotzten ihnen. Die Au
gen der Elfen leuchteten golden und hell wie Sonnen,
und lästerliche selbsterzeugte Heiligenscheine um
hüllten jeden dieser bösartigen Köpfe. Ihre schiere
Gegenwart peitschte die Luft wie mit Riesenschwin
gen, und dann griffen sie die ESP-Blocker der Para
gone an und versuchten, diesen Schutz durch brutale
Kraft wegzuschlagen.
Lewis schrie unwillkürlich auf, als etwas Böses
kurz die Grenzen seines Bewusstseins streifte – als
hätte ein Monster an die Tür seiner Seele gehämmert
und Einlass gefordert. Ein Teil von ihm sehnte sich
danach, einfach zu flüchten und sich zu verstecken,
aber er war ein Paragon und ein Todtsteltzer, und es
gab Dinge, die er einfach nicht tat. Er drehte den Mo
tor des Gravoschlittens auf, nahm Kurs auf den näch
sten Elf und schoss los wie ein Pfeil von der Bogen
sehne. Seine Augen blickten ganz kalt und gleichmä
ßig und sprachen von Tod. Der abtrünnige Esper
hing tatsächlich einen Augenblick lang nur in der
Luft, konnte gar nicht glauben, dass ein bloßer
Mensch ihm trotzte, und sank rasch zurück in die
wogende Menschenmenge unter ihm, versteckte sich
hinter seinen menschlichen Schilden. Lewis verlor
ihn aus den Augen, fegte über die Stelle hinweg und
fluchte lautlos.
Er konnte den Schlitten zurücklassen, sich selbst
in die Menge stürzen und den Elfen verfolgen. Er
kannte jetzt dessen Gesicht und ungefähre Position.
Aber falls er das tat und den Elfen nicht schnell ge
nug fand, würden sich dessen menschliche Marionet
ten auf Geheiß ihres Meisters auf ihn stürzen und ihn
zerreißen. Wahrscheinlich weinten sie dabei, aber
das half Lewis auch nicht.
Er wendete den Schlitten in engem Bogen und er
blickte Finn, der halb bewusstlos über der Steuerung
seines treibenden Schlittens hing. Der Angriff der
Elfen musste seinen ESP-Blocker durchschlagen ha
ben. Lewis beschleunigte, aber der nächste Elf stürz
te sich schon auf Finns Schlitten und grinste bei dem
Gedanken daran, von einem so berühmten Paragon
Besitz zu ergreifen und ihn auszusaugen. Und Finn
Durandal drehte sich um und grinste ebenfalls, und
der Elf wusste, dass er hereingefallen war. Finns
Hand stieg hoch und
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