Gregor und der Fluch des Unterlandes
hätte Ripred herumstammeln sollen, als die Sprache darauf kam?
Ein neues Geräusch unterbrach seine Gedanken. Das Geräusch von Füßen, Rattenfüßen, auf den Steinen unter ihm. Gregor drehte sich auf den Bauch und schaute über Ares’ Schulter, aber natürlich konnte er ohne Licht nichts sehen. Die Ratten spürten ihre Gegenwart, sie witterten sie, erkannten sogar Gregors Geruch, denn sie riefen seinen Namen, forderten seinen Tod.
Nach ein paar Minuten war es wieder still.
»Wie viele waren es?«, fragte Gregor Ares.
»Sechs- oder siebenhundert«, sagte Ares.
»Sind sie auf dem Weg nach Regalia oder in die Feuerländer?«, sagte Gregor.
»Nach Regalia«, sagte Ares.
»Glaubst du, in Regalia wissen sie, dass die Ratten kommen?«, fragte Gregor.
»Ich weiß es nicht«, sagte Ares, und seine Flügel schlugen jetzt noch schneller.
Gregor dachte an die ahnungslose Stadt, an all die Menschen, an seine Mutter in ihrem Krankenbett – und Ares konnte gar nicht schnell genug fliegen.
Als sie in der Hohen Halle landeten, merkten sie, dass niemand etwas von der Rattenarmee wusste, die im Anmarsch war. Ohne besondere Kontrollen wurden sie durch die Tore gewinkt, nur einige besorgte Blicke trafen sie. Keine zusätzlichen Wachen waren aufgestellt worden. In der Stadt ging alles seinen gewohnten Gang.
Kaum waren sie angekommen, befahl Gregor den Wachen, den Rest der Gruppe ins Krankenhaus zu bringen. »Und sagt Vikus, dass die Nager die Stadt angreifen.«
Bevor die Wachen Fragen stellen konnten, war Gregor schon durch die Halle gegangen. Sein Knie war geschwollen, und er spürte bei jedem Schritt einen stechenden Schmerz, aber er blieb nicht stehen. Inzwischen kannte er sich im Palast gut aus. Er brauchte nicht lange, bis er im Museum war.
Sandwichs Schwert lag noch immer an seinem Platz, und es war noch immer sorgfältig in Stoff eingewickelt. Seit Gregor es zuletzt gesehen hatte, war es nicht angerührt worden. Als er die Hand danach ausstreckte, stach ihm etwas ins Auge. Mrs Cormacis Fotoapparat. Den hatte er nach dem Fest hier hingelegt, damit er nicht kaputtging. Daneben lagen die Fotos, die er an Hazards Geburtstag geknipst hatte. Seine Mutter hatte ihm vorgeschlagen, sie mit nach Hause zu nehmen und für Hazard in ein Album zu kleben.
Er nahm die Fotos, er konnte nicht anders. Oben auf dem Stapel war das erste Bild – ein strahlender Hazard mit Thalia. Es war erst eine Woche her, aber Gregor kam es vor wie in einem anderen Leben. Jetzt war Hazard verrückt vor Kummer, und Thalia lag tot in der Grube bei den Huschern. Fünf seiner Freunde waren in einer verzweifelten Mission in den Feuerländern unterwegs, um die Huscher zu warnen und eine Armee zusammenzustellen. In wenigen Stunden würden die Ratten die Stadt umzingeln, angestachelt vom Hass des Fluchs.
Gregors Hände fingen an zu zittern. Ein paar Fotos fielen zu Boden. Schnell hob er sie auf, und sein Blick fiel auf ein Bild, das er noch nicht gesehen hatte. Wer hatte das gemacht? Es war ein Foto von ihm und Luxa, wie sie zusammen tanzten. Die Kamera hatte den Moment eingefangen, in dem er sie in die Luft hob. Sie lachten beide. Er dachte daran, wie glücklich er gewesen war …
Dann hörte er den Fanfarenstoß. Ängstliche Stimmen in der Halle. Jetzt wussten es alle. Die Ratten kamen.
Gregor steckte das Foto in die Hosentasche und legte die übrigen zurück ins Regal. Er zog sein Schwert aus dem Gürtel und warf es weg. Der weiche, seidige Stoff fühlte sich kühl an, als er Sandwichs Schwert auswickelte. Mit den Juwelen und den feinen Gravuren sah es atemberaubend aus. Er hatte vergessen, wie wunderschön es war.
Einen Augenblick zögerte er, das Schwert zu nehmen. Aber warum? Er hatte sich schon entschieden, schon in dem Moment, als er sah, wie die Mäuse in den giftigen Dämpfen starben. Er wollte kämpfen, weil er keine andere Möglichkeit sah. Doch was bedeutete das für ihn, den Krieger? Wer würde er sein … falls er überlebte … Wer würde er sein, wenn er Sandwichs Schwert wieder niederlegte?
Nein, nicht Sandwichs Schwert. Es gehörte jetzt ihm. Er umfasste den Griff und schwang es ein paarmal durch die Luft. Jede Bewegung wurde von einem tiefen, befriedigenden Zischen begleitet. Das Schwert war schwerer als erwartet, aber es lag sehr gut in der Hand. Im Vergleich dazu kam ihm jedes Schwert, das er bis dahin benutzt hatte, wie ein billiges Plastikding vor, das man zu einem Kostümfest trug. Er steckte das Schwert in den Gürtel
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