Grenzen der Sehnsucht
alles andere in Bayern den Widerspruch zwischen Tradition und Moderne, der für diese Region so typisch ist.
Die Gäste erfreuten sich am Auftritt. Dass die Plattler, die sie bestaunen durften, allesamt schwul sind, davon wussten sie nichts und werden es möglicherweise auch nie erfahren, zumindest erwähnte man es in der Anmoderation mit keinem Wort.
Ist das nun ein gutes oder ein schlechtes Zeichen?
Out of München, out in Uffing:
Von einem, der sich weigerte, sein Liebesleben
abzuspalten – und damit ein ganzes Dorf spaltete
Die Münchner Schwuhplattler verdanken ihre Existenz einem, der eigentlich gar kein Münchner ist. Er will sich in der Landeshauptstadt auch nicht niederlassen, ganz im Unterschied zu den vielen Zuzüglern aus dem bayrischen Umland, die es in den vergangenen Jahrzehnten in die Bayernmetropole verschlug, weil es sich hier als Schwuler viel besser leben lässt. Auch deshalb ist der Bauernsohn Sepp Stückl aus Uffing so bemerkenswert. Er war es, der sich eines Tages mit ein paar anderen traditionsbewussten Schwulen aus ganz Bayern traf und bald darauf jene Trachtlergruppe gründete, die ihn berühmt machte. So berühmt, dass sich schließlich sogar das Fernsehen darum riss, über ihn und seine Truppe zu berichten.
Die Geschichte ist in der Tat ein bühnentauglicher Stoff, der sich um Brauchtum, Musik und Tanz dreht, aber auch um ein schwieriges Coming-out, um Liebe und Zwietracht. Im Mittelpunkt ein Mann, der sich bayrisch stur stellt und mit seinem Schwulsein schließlich sein ganzes Heimatdorf spaltet, nachdem er zunächst den inneren Kampf gegen die eigenen Zweifel durchgestanden hat. Also die perfekte Mixtur für ein Drama in einem Bauerntheater, oder noch besser vielleicht für ein Musical, das den Titel Out in Uffing tragen müsste.
Andererseits ist die Geschichte dafür nicht gefällig genug, weil sie, wie so häufig im wahren Leben, zu viele Wendungen, Irrtümer und andere Brüche enthält, die für ein breites Publikum zu glätten in diesem Fall schlichtweg eine Sünde wäre. Denn sie ist auch ein Lehrstück an halbherziger Toleranz, wie man es nicht häufig vorgeführt bekommt, jedenfalls nicht in solcher Anschaulichkeit.
Uffing lautet der Name eines beschaulichen Dorfes im Oberbayrischen, gelegen am Staffelsee, dessen Ufer fast gänzlich unverbaut geblieben ist.
Es ist ein stürmischer Nachmittag im Februar, und hin und wieder brechen drüben auf der Murnauer Uferseite für ein paar Minuten die Wolken auf und lassen erahnen, was für eine majestätische Gebirgskette sich hinter ihnen verbirgt.
Sepp und ich haben uns nicht gerade das beste Wetter für eine Wanderung ausgesucht.
„Da hinten sieht man normalerweise das Zugspitzmassiv. Und dort“ – er deutet auf den vernebelten Horizont – „das Ettaler Manndl.“ Eine gute Übung für die Phantasie.
Später braut er uns zum Aufwärmen einen Kräutertee und kramt ein paar Fotos von dem Alpenpanorama hervor, Bilder von der Familie am Hof seines Vaters und den Festen im Dorf, und dabei kann man ihm an den Augen ablesen, dass ihm das alles viel bedeutet: Heimat und Verwurzelung. Und das will er sich nicht nehmen lassen.
„Ich bin froh, dass ich hier geblieben bin“, sagt er und atmet einmal tief durch. „Das hab ich vor allem meiner Familie zu verdanken, meinem Bruder und meiner Schwester, die immer zu mir gehalten haben.“
Sie war nicht immer stabil, die Bindung ans Dorf. Eine Zeit lang schien sie nur ein seidener Faden zu sein, und beinahe hätte er damals seine Koffer gepackt und in der Anonymität der Großstadt eine Ersatzheimat gesucht, wie das so viele Schwule aus der Provinz tun: Schnitt – und ein neues Leben beginnt. Aber als Stadtmensch fühlt sich Sepp nicht, auch wenn er die kulturelle Vielfalt dort zu schätzen weiß. Die Unverbindlichkeit der Großstädter und das Anonyme sind jedoch nicht sein Ding, hat ihn doch das Gemeinschaftliche und Überschaubare des Dorflebens von Kindesbeinen an geprägt.
Er kannte es nicht, dieses Gefühl, nicht dazuzugehören, von dem so viele schwule Landflüchtlinge berichten. Ein Unbehagen, das sich bereits lange vor dem Coming-out andeutet. Nein, im Gegenteil. Sepp gehörte schon aus Familientradition zu jenen Dörflern, die mittendrin stehen, die regelmäßig zum Gottesdienst gehen und über die alle Fäden laufen, wenn gemeinsam etwas auf die Beine gestellt wird. Sein Großvater war einst Mitbegründer des Trachtenvereins, sein Vater Vorstand, und nachdem seine
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