Grenzen der Sehnsucht
Erotisches. Schnell wird einem klar, dass überhaupt keine Homo-Klischees bedient werden. Das hier ist unverfälschtes bayrisches Brauchtum.
„Wuisd ned midmacha?“, fragt mich freundlich lächelnd ein Mann mit leuchtenden Augen, der ohne seinen langen Rauschebart bestimmt zehn Jahre jünger aussehen würde. „Des is a Mordsgaudi!“
Eine halbe Stunde später kommen noch mehr Musiker dazu. Ein zweites und drittes Akkordeon. Und eine Tuba. Dann trudeln nach und nach die Fortgeschrittenen ein, die bereits ein fest eingeübtes Repertoire von über einer Stunde Programm drauf haben. Manche tragen sogar Hüte mit Gamsbärten.
„Heute ist ein Journalist aus Berlin zu Gast“, verkündet Sepp, der Vorsitzende und Gründer der Schwuhplattler, vor versammelter Mannschaft. „Er will über uns etwas schreiben.“
Die Runde mustert mich neugierig bis kritisch. Wäre das hier ein Comic, würde nun über ihren Köpfen eine große Gedankenblase schweben: „Jo mei, dem Preissn zeigen wir’s jetzt aber!“
Und dann lassen sie es krachen.
Zu den rhythmischen Klängen von Volksmusik und Landlermelodien folgt ein Stampfen, ein Springen und ein Juchzen. Die Männer schlagen synchron ihre Handflächen mit lautstarker Wucht auf Schuhsohlen, Knie und Oberschenkel. Manche haben schon nach wenigen Minuten rote Verfärbungen auf den Beinen vom Draufhauen. Dann gehen sie in die Hocke, schlagen und klopfen aufs Parkett, schnellen wieder in die Höhe, drehen sich im Kreis.
Wie soll man es umschreiben? Es ist ein aufwändig choreografiertes, authentisches Ethno-Spektakel! Irgendwann denkt man: Denen muss doch jetzt mal die Luft ausgehen! Doch Schuhplattler sind offenbar zäh. Ein anderer Zuschauer, der anscheinend Experte auf dem Gebiet ist, klärt mich auf, warum das schon aus Tradition so sein muss: „Die Bauernburschen und Holzknechte vergangener Jahrhunderte konnten zwar nicht lesen oder schreiben, dafür waren sie aber robust wie Hirschleder. Darum ist der Schuhplattler ein draufgängerischer, kraftstrotzender und ausdauernder Tanz, mit dem man um sein Dirndl geworben hat.“
Dirndl sind nun allerdings weit und breit nicht in Sicht. Dass die Schwuhplattler beim Tanzen ohne sie auskommen, dafür hat man im Verein sogar eine kulturhistorisch fundierte Rechtfertigung parat. Im neunzehnten Jahrhundert entwickelte sich nämlich in der Ramsau eine spezielle Form des reinen Burschenplattlers, auf die sich die schwulen Traditionalisten hartnäckig berufen – auch wenn die liebe Müh bislang für die Katz ist, weil der bayrische Trachtenverband den Homo-Verein ohnehin am liebsten in die Sahara oder sonst wohin schicken würde, wo es keine Berge gibt.
Ganz anders hingegen die Altkatholische Kirche, die seit jeher tolerant ist und den päpstlichen Dogmen kritisch gegenüber steht. Sie stellt den Schwuhplattlern für die Proben den Keller ihres Gemeindezentrums als Übungsraum zur Verfügung. Wer hätte das gedacht?
Nach der Trainingsstunde sind die Burschen, von denen manche aus allen möglichen Teilen Bayerns anreisen, erst mal völlig verschwitzt und ausgelaugt. Trotzdem vermitteln sie nicht den geringsten Zweifel, dass sie großen Spaß haben. Und der ist ihnen die ganze Mühe wert.
Zu fortgeschrittener Stunde setzen sich die Plattler noch Beim Franz in der Holzstraße auf ein Bier zusammen, einer Kneipe mit urbayrischer Atmosphäre, deren gleichnamiger Wirt eine Lokalgröße in München ist. Sie verteilen sich an drei großen Tischen, denn an diesem Abend sind mehr als sonst üblich gekommen.
Als Berliner gerate ich in die Verlegenheit, Fragen zu stellen, die sich als ziemlich blöd erweisen. „Die Geräusche, die ihr beim Platteln macht, ist das eine bestimmte Form des Jodeins?“
Betretene Stille, Kopfschütteln.
„Naa, des is koa Jodeln net. Des is einfach nur a Juachzn.“
Ach so.
Neben dem Tresen hängen Bilder von Freddy Mercury, Barbara Valentin, Rainer Werner Fassbinder und anderen – von der ganzen Prominentenschar eben, die sich in den siebziger und achtziger Jahren in der Deutschen Eiche herumtrieb. Geschichten von Affären, Drogen und ausgelassenen Feiern erzählt man sich noch heute. Indes ist vom alten Traditionslokal, das schon in den fünfziger Jahren seinen Ruf als Homo-Treffpunkt weg hatte, nicht mehr viel übrig. Immobilienspekulation, Renovierung mit Einbau einer riesigen Sauna und gezielte Ausrichtung auf eine jüngere, zahlungskräftige Schwulenklientel – all das hat in den letzten Jahren die Eiche
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