Grenzen der Sehnsucht
es ihm schlecht geht. Neulich hatte Christian seinen ersten Liebeskummer. Da leidet man selbst Höllenqualen mit. In solchen Situationen spürt man den Vater in einem.“
Inzwischen haben die Meurers einen gewissen Bekanntheitsgrad erreicht, nachdem über sie in einer ZDF-Reportage berichtet wurde. Eines Tages meldete sich jemand bei ihnen, der sich als Mitarbeiter der Vereinten Nationen ausgab und sie zu einer Veranstaltung über homosexuelle Elternschaft einlud.
„Zuerst glaubten wir an einen Witz“, sagt Thomas.
Doch dann flatterte eines Tages eine offizielle Einladung ins Haus – für die „60th Session of the Commission on Human Rights“ der UNO in Genf.
Guido kramt die Besucherkarten raus, mit dem Emblem der UNO und den eingeschweißten Passfotos von ihnen.
Vor ein paar hundert Zuhörern aus der ganzen Welt hielten er und sein Neffe Christian dort eine kurze Rede, die in viele Sprachen übersetzt wurden.
„Ich hatte so einen Schiss, wo ich doch sowieso schon traumatisiert bin“, sagt Guido. „Als Kind bin ich immer dazu genötigt worden, an Sankt Martin ein Gedicht aufzusagen. Ich hab damals schon immer gedacht: Mein Gott, lass diesen Kelch bitte an mir vorübergehen.“
Und doch scheint das, was er zu sagen hatte, gut angekommen zu sein. Denn inzwischen liegen zwei weitere Einladungen auf dem Tisch: Zur UNO nach New York. Und nach Uganda. So ganz müssen sie also auf das Reisen nicht verzichten.
Wie kommen sie als schwule Väter eigentlich in der Szene an? Fühlen sie sich dort überhaupt heimisch? In Aachen gibt es immerhin eine schwule Kneipe, und Köln ist auch nicht weit.
„Wir sind früher häufig schwul ausgegangen“, sagt Thomas. „Wir kannten uns in der Szene gut aus. Als Christian zu uns kam, war erst mal Schluss damit. Wir konnten ihn ja nicht mehr so ohne weiteres alleine zu Hause lassen. Nach und nach verloren sich die Kontakte.“
Er macht eine Pause.
Dann fährt er fort und schaut dabei Guido von der Seite an.
„Na ja, nach langer Zeit waren wir dann mal wieder beim Gay Happening in der Königsburg in Krefeld. Eigentlich hatten wir uns darauf gefreut, aber als wir dann in der Schlange zwischen den anderen Männern standen, bekamen wir plötzlich die totale Identitätskrise. Wir wussten nicht mehr, wo wir hingehörten und was wir waren. Die Themen kreisten darum, wie man den nächsten Mann kennen lernt, wo man den nächsten schwulen Urlaub verbringt und welche Gleitcreme am besten taugt. Da gab es gar keine Anknüpfungspunkte mehr. Darum sind wir auch bald wieder nach Hause gefahren.“
Guido nickt. „Wir fühlten uns fehl am Platz. Dazu kommt, dass uns von unseren früheren Freunden nur einer geblieben ist. Ich muss sagen: In schwulen Kreisen machen Kinder einsam.“
Und wie erklären sie sich diese Entfremdung zu ihrem alten Leben?
Ein paar Sekunden herrscht Stille.
„Vielleicht sind wir einfach neidisch auf die Ungebundenheit, die Freiheit der anderen“, sagt Thomas.
„So schlecht war das gar nicht früher“, fügt Guido schließlich hinzu.
Und was heißt das nun? Würden sie, wenn sie die Wahl hätten, lieber wieder ein schwules Szene-Dasein führen, frei und ungebunden wie früher?
Diesmal sind sie um eine Antwort nicht verlegen.
„Nö!“, sagt Thomas.
„Unmöglich!“, pflichtet Guido bei. „Ich kann es mir nicht mehr vorstellen. Wenn ich nach Köln fahre und sehe, dass dort die ganze Umgebung schwul ist, der Bäcker, der Kneipenwirt, sogar der Taxifahrer, dann denke ich manchmal: ,Wie kann man nur so blöd sein und sich freiwillig in ein Ghetto begeben?’“
Thomas stimmt ihm zu: „Als junger Schwuler idealisiert man schnell die Szene. Es ist einem nicht klar, dass man beide Welten gut vermischen muss“.
Indes scheint das Guido und Thomas in ihrer Situation auch nicht so recht zu gelingen. Sie sind inzwischen auf der anderen Seite der unsichtbaren Grenze gelandet; das mentale Schwulenghetto haben sie längst verlassen. Manchmal schmerzt es sie, es fehlt ihnen die Nähe zu anderen schwulen Vätern, an die allerdings „nur schwer ranzukommen“ ist, wie sie sagen, besser sehe es da schon mit dem Kontakt zu lesbischen Paaren aus.
Doch die meisten ihrer Freunde und Bekannten sind heterosexuelle Männer und Frauen, die fast alle in der näheren Umgebung wohnen.
Für die Kinder sei es ohnehin wichtig, dass auch Frauen zu ihren Bezugspersonen gehören, sagen Thomas und Guido. Das ist bei ihnen der Fall. Christian hat zum Beispiel noch eine
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