Grete Minde
ein Hafenglas, drin ihm aus Brotrinden und dünnem Essig ein Getränk gemacht worden war. Aber der Geschmack widerstand ihm, und er wies es zurück und sagte: »Wasser.« Und Grete holte den Wasserkrug herbei, der groß und unhandlich und viel zu schwer war, um draus zu trinken, und als sie noch unschlüssig dastand und überlegte, wie sie den Trunk ihm reichen solle, hob er sich mühsam auf und sagte lächelnd: »Aus deiner Hand, Gret: ein paar Tropfen bloß. Ich brauche nicht viel.« Und sie tat's und gab ihm. Als er aber getrunken, hielt sie sich nicht länger mehr und rief, während sie halb im Gebet und halb in Verzweiflung ihre Hände gen Himmel streckte: »Ach, daß ich leben muß! Valtin, mein einzig Geliebter, nimm mich mit dir, mich und unser Kind. Was hier noch war, warst du. Nun gehst du. Und wir sind unnütz auf dieser Welt.«
»Nein, Grete, nicht unnütz. Und du mußt leben, leben um des Kindes willen. Auch wenn es dir schwer wird. Und du wirst es, denn du hattest immer einen tapfern und guten Mut. Ich weiß davon. Und nun hör mich und tu, wie ich dir sage. Aber bücke dich; bitt, denn es wird mir schwer.«
Und sie rückte näher an sein Kissen.
»Es muß etwas geschehen«, fuhr er fort, »und du kannst nicht mehr bleiben mit den fahrenden Leuten unten. Ich mag sie nicht schelten, denn sie waren gut mit uns, aber sie sind doch anders als wir. Und du mußt wieder eine Heimstätt haben und Herd und Haus und Sitt und Glauben. Und so versprich mir denn, mache dich los hier, in Frieden und guten Worten, und zieh wieder heim und sage... und sage... daß ich schuld gewesen.«
Grete schüttelte heftig den Kopf.
Ihm
die Schuld zuzuschieben, das erschien ihr schwerer als alles. Er aber legte still seine Hand auf ihren Mund und wiederholte nur: »... daß ich schuld gewesen. Und wenn du das gesagt hast, Grete, dann sag auch, du kämest, um wiedergutzumachen, was du getan, und sie sollten dich halten als ihre Magd. Und du wolltest kein Glück mehr, nein, nur Ruh und Rast. Und dann mußt du niederknien, nicht vor
ihr
, aber vor deinem Bruder Gerdt. Und er wird dich aufrichten...«
»Ach, daß es käme, wie du sagst! Aber ich kenn ihn besser. Er wird mir drohn und mich von seiner Schwelle weisen, mich und das Kind, und wird uns böse Namen geben.«
»Ich fürcht es nicht. Aber wenn er härter ist, als ich ihn schätze, dann geh ihn an um dein Erbe, das wird er dir nicht weigern können. Und dann suche dir einen stillen Platz und gründe dir ein neues Heim und einen eigenen Herd. Tu's, Gret. Ich weiß, du hast ein trotzig Gemüt; aber bezwinge dich um des Kindes willen. Versprich mir's. Willst du?«
»Ich will.«
Es schien, daß sie noch weitersprechen wollt, aber in diesem Augenblicke trat Zenobia ein und sagte: »Denk, Gret, 's gibt noch a Spiel heut. Den ›Sündfall‹ wollen s'. Das Leutvolk laßt uns ka Ruh nit. Aber a ›Sündfall‹ ohn a Engel? Das geht halt nit. Und drum komm i. Was meinst, Gret?«
Diese starrte vor sich hin.
»Geh«, sagte Valtin. »Rücke den Korb dicht her zu mir und spiele den Engel. Und wenn die Stelle kommt, wo du die Palme hebst, dann denk an mich.«
Und sie rückte den Korb näher an sein Lager und beugte sich über ihn. Er aber nahm noch einmal ihre Hand und sagte: »Und nun leb wohl, Gret, und vergiß es nicht. Ich höre jedes Wort. Geh. Ich wart auf dich.«
Und Grete ging und barg ihr Gesicht in beide Hände.
Sechzehntes Kapitel
Die Nonnen von Arendsee
Am andern Morgen ging es in Arendsee von Mund zu Mund, daß einer von den Puppenspielern über Nacht gestorben sei. An allen Ecken sprach man davon, und alles war in Aufregung. Was mit ihm tun? Ein Sarg war beschafft worden, das war in der Ordnung; aber
wo
ihn begraben, das blieb die Frage. War ihr Kirchhof ein Begräbnisplatz für fahrende Leute, von denen keiner wußte, wes Glaubens sie seien, Christen oder Heiden! Oder vielleicht gar Türken. Und dabei dachte jeder an die Frau, die gestern, vor Beginn des Spiels, ein langes rotes Tuch um die Schulter, am Eingange gesessen hatte.
Es war klar, daß nur der alte Prediger Roggenstroh den Fall entscheiden konnte; und ehe Mittag heran war, wußte jeder,
daß
er ihn entschieden habe und
wie
. Grete selber hatte, neben einer eindringlichen Ermahnung, das Nein aus seinem Munde hören müssen.
Da war nun große Not und Trübsal, und es wurd erst wieder lichter um Gretens Herz, als sich die Wirtin ihrer erbarmte und ihr anriet, drüben ins Kloster zu den Nonnen zu
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