Grete Minde
nahegestanden, in dieser Nacht gestorben sei. Und nun wüßten sie nicht, wohin ihn begraben. Einen Sarg hätten sie machen lassen, aber sie hätten kein Grab für ihn, kein Fleckchen Erde. Wohl sei sie bei dem alten Prediger gewesen und hab ihn gebeten, aber der habe sie hart angelassen und ihr den Kirchhof versagt. Den Kirchhof und ein christlich Begräbnis.
»Bist du christlich?«
»Ja.«
»Aber du siehst so fremd.«
»Das macht, weil meine Mutter eine Spansche war.«
»Eine Spansche...? Und im alten Glauben?«
»Ja, Domina.«
Die beiden Damen sahen einander an, und die Domina sagte: »Sieh, Ilse, das hat ihr der Roggenstroh von der Stirn gelesen. Er sieht doch schärfer, als wir denken. Aber es hilft ihm nichts, und wir wollen ihm einen Strich durch die Rechnung machen. Er hat
seinen
Kirchhof und wir haben den
unsren
. Und auf unsrem, denk ich, schläft sich's besser.«
»Ja, Domina.«
»Sieh, Kind, das sag ich auch. Und ich warte nun schon manches Jahr und manchen Tag darauf. Aber der Tag will nicht kommen. Denn du mußt wissen, ich werde fünfundneunzig und war schon geboren und getauft, als der Wittenbergsche Doktor gen Worms ging und vor Kaiser Carolus Quintus stand. Ja, Kind, ich habe viele Zeiten gesehen, und sie waren nicht schlechter, als unsre Zeiten sind. Und morgen um die neunte Stunde, da komm nur herauf mit deinem Toten, und da soll er sein Grab haben. Ein Grab bei
uns
. Und nicht an schlechter Stell und unter Unkraut; nein, wir wollen ihn unter einem Birnbaum begraben oder, so du's lieber hast, unter einem Fliederbusch. Hörst du. Verlaß dich auf mich und auf
diese
hier. Denn
die
hier und ich, wir verstehen einander, nicht wahr, Ilse? Und wir wollen die Klosterglocke läuten lassen, daß es der Roggenstroh bis in seine Stube hört und nächsten Sonntag wieder gegen uns predigt, gegen uns und gegen den Antichrist. Das tut er am liebsten, und wir hören es am liebsten. Und nun geh, Kind. Ich hasse den Hochmut und weiß nur das eine, daß unser All-Erbarmer für unsre Sünden gestorben ist und nicht für unsre Gerechtigkeit.«
Und danach ging Grete, und der Hund begleitete sie bis an die Tür. Als die beiden Frauen wieder allein waren, sagte die Domina: »Unglücklich Kind. Sie hat das Zeichen.«
»Nicht doch; sie hat schwarze Augen. Und die hab ich auch.«
»Ja, Ilse. Aber deine lachen und ihre brennen.«
»Du siehst zuviel, Domina.«
»Und du zuwenig. Alte Augen sehen am besten im Dunkeln. Und das Dunkelste ist die Zukunft.«
Und so kam der andre Morgen.
Die neunte Stunde war noch nicht heran, als ganz Arendsee die Klosterglocke läuten hörte. Und auch Roggenstroh hörte sie; das verdroß ihn. Aber ob es ihn verdroß oder nicht, von der tiefen Einfahrt des Gasthofes her setzte sich ein seltsamer Zug in Bewegung, ein Begräbnis, wie die Stadt noch keines gesehen; denn die vier Puppenspieler trugen den Sarg, der auf eine Leiter gestellt worden war, und hinter ihnen her ging Grete, nur auf Zenobia gestützt, die sich heute von allem Rot entkleidet und statt dessen an ihren Spitzhut wieder ihren langen schwarzen Schleier mit den Goldsternchen befestigt hatte. Und dann kamen Kinder aus der Stadt, die vordersten ernst und traurig, die letzten spielend und lachend, und so ging es die Straße hinunter, in weitem Bogen um den Kirchhof herum, bis an die Seeseite, wo, von alter Zeit her, der Eingang war.
In Nähe dieses Einganges, unter einem hohen Fliederbusch, der mit seinen Zweigen bis in den Kreuzgang hineinwuchs, hatte der Klostergärtner das Grab gegraben. Und um das Grab her standen die Nonnen von Arendsee: Barbara von Rundstedt, Adelheid von Rademin, Mette von Bülow und viele andere noch, alle mit Spitzhauben und langen Chormänteln, und in ihrer Mitte die Domina, klein und gebückt, und neben ihr Ilse von Schulenburg, groß und stattlich. Und als nun der Zug heran war, öffnete sich der Kreis, und mit Hülfe von Seilen und Bändern, die zur Hand waren, wurde der Sarg hinabgelassen. Und nun schwieg die Glocke, und die Domina sagte: »Sprich den Spruch, Ilse.« Und Ilse trat bis dicht an das Grab und betete: »Unsre Schuld ist groß, unser Recht ist klein, die Gnade Gottes tut es allein.« Und alle Nonnen wiederholten leise vor sich hin: »Und die Gnade Gottes tut es allein.« Danach warfen die Zunächststehenden eine Handvoll Erde dem Toten nach, und als ihr Kreis sich gelichtet, drängten sich die Kinder von außen her bis an den Rand des Grabes und streuten Blumen über den
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