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Die Koenigin der Wolle

Die Koenigin der Wolle

Titel: Die Koenigin der Wolle Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Susanne Nitzsche
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Gestrandet
     
     
    „Was zum Teufel...?” Weiter kam Alexander Sterling mit seinem Gedanken nicht, denn direkt vor ihm zeigten die Anzeigetafeln der Flughafenwartehalle sehr deutlich und nüchtern, was Sache war. Cancelled. Annulé. Alle Flüge waren gestrichen. Nun hatten sich die französischen Fluglotsen also tatsächlich auf einen Termin für ihren lange angedrohten Streik einigen können. Wie wunderbar, dass sie ausgerechnet diesen Tag gewählt hatten! Alexander hätte jedem einzelnen den Hals umdrehen wollen. Wie, bitteschön, sollte er nun von Marseille zurück nach London kommen? Er stoppte die erstbeste Flughafenmitarbeiterin auf ihrem Weg von einem Terminal zum nächsten und stellte ihr genau diese Frage in einem mehr als pampigen Tonfall. Die junge Frau bedauerte seine Unannehmlichkeiten außerordentlich. Man könne nicht sagen, wie lange der Streik andauern würde. Die Fronten zwischen den Tarifvertragsparteien wären vollkommen verhärtet. Man rechne aber mit mindestens 48, wenn nicht sogar 72 Stunden.
    Und nun? Sein Ferienhaus lag ungefähr 70 Kilometer entfernt, den Leihwagen hatte er schon zurückgegeben. Einen neuen Leihwagen nehmen und die Strecke zurückfahren, um dann ein paar Stunden später wieder zum Flughafen aufzubrechen? Oder einfach in der Flughafenhalle das tun, wofür sie vorgesehen war - warten? Überall hatten sich schon kleine Inseln mit gestrandeten Möchtegernpassagieren gebildet. Er wäre also beileibe nicht der einzige. Sterlings Griff um den Henkel seiner Reisetasche wurde energischer, als er auf eine Reihe von Stühlen zuging, zu deren Füßen sich eine junge Frau niedergelassen hatte. Sie sah nicht gerade Furcht einflößend aus, war also ein kalkulierbares Risiko. Vielleicht konnte er diese Warterei ja sogar in sein nächstes Buch einbauen...
    Alexander Sterling war Mitte 50, trug die silbrig-weiße Farbe, die sein Haar in den letzten Jahren angenommen hatte, mit Würde und betrachtete seine Umwelt aus hellbraunen Augen. Seit mehr als zwei Jahrzehnten begeisterten seine Kriminalromane Kritiker und Leser. Unzählige Male schon war der Held seiner Romanreihe als legitimer Nachfolger von Sherlock Holmes gefeiert worden. Die britische Presse hatte Sterlings Bücher mit dem Prädikat ‘very sophisticated’ versehen und damit ihren eigenen Ritterschlag vorgenommen.
    Seufzend ließ er sich nieder und stellte seine Tasche auf dem Nachbarstuhl ab.
    „Wohin müssen Sie?”, fragte die junge Frau, die vom Boden her zu ihm aufblickte, auf Englisch.
    Er zog indigniert eine Augenbraue hoch. Normalerweise ließ er sich nicht einfach so ansprechen. Das strahlende Lächeln im Gesicht der Frau hielt ihn jedoch davon ab, sich einfach wegzudrehen.
    „Nach London. Sieht aus, als würde das hier noch eine Weile dauern.”
    „Allerdings.” Sie strahlte immer noch. „Wenn Sie sich und Ihren Bandscheiben einen Gefallen tun möchten, setzen Sie sich zu mir. Diese Plastikstühlchen sind tödlich für jeden Rücken. Nach London kommen Sie heute und morgen sowieso nicht.”
    Diesmal zog Sterling beide Augenbrauen nach oben. „Wieso?”
    „Weil in den Nachrichten von plötzlich aufgetretenem Schnee auf den britischen Inseln die Rede war. Offensichtlich sind die Landebahnen in Heathrow und Gatwick total vereist und es gibt dort kein Vor und Zurück. Selbst wenn sich also die netten Franzosen erbarmen, kommen zwar alle anderen Passagiere von hier fort, wir werden aber weiter ausharren müssen.” Sie hatte diese Tatsache voller Gleichmut auf dieselbe Art erklärt, mit der man Kindern in der Schule das kleine Einmaleins näher brachte und setzte voller Mitgefühl ein „Ich hoffe, Sie hatten es nicht eilig.” nach.
    Sterling konnte sich ein amüsiertes Grinsen nicht verkneifen. Wie konnte diese kleine Lady nur so gelassen bleiben? Vielleicht hatte das mit dem grauen Etwas zu  tun, das zwischen den Stricknadeln in ihren Händen in der Luft baumelte.
    „Nein, nicht wirklich. Und selbst wenn - es würde jetzt keine Rolle mehr spielen.”
    „Allerdings. Wenn man das Ganze als Abenteuerpicknick betrachtet, kann es vielleicht sogar lustig sein. Also, wie sieht’s aus - darf ich Ihnen einen Platz an meiner Seite anbieten?” Sie grinste von einem Ohr zum anderen und breitete etwas auf dem Boden neben sich aus, das zuerst wie ein Sitzkissen aussah, sich bei näherem Hinsehen aber als Stoffbeutel voller Wollknäuel entpuppte.
    „Sehr gern. Vielen Dank.” Sterling setzte sich etwas zweifelnd auf das

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