Grimms Märchen, Vollständig überarbeitete und illustrierte Ausgabe speziell für digitale Lesegeräte (German Edition)
den Tischritz. »He, he, Frau Meisterin«, rief er und steckte den Kopf in die Höhe, und wenn sie zuschlagen wollte, sprang er in die Schublade hinunter. Endlich aber erwischte sie ihn doch und jagte ihn zum Haus hinaus.
Das Schneiderlein wanderte und kam in einen großen Wald: da begegnete ihm ein Haufen Räuber, die hatten vor des Königs Schatz zu bestehlen. Als sie das Schneiderlein sahen, dachten sie: »so ein kleiner Kerl kann durch ein Schlüsselloch kriechen und uns als Dietrich dienen.«
»Heda«, rief einer, »du Riese Goliat, willst du mit zur Schatzkammer gehen? Du kannst dich hineinschleichen, und das Geld heraus werfen.« Der Däumling besann sich, endlich sagte er: »ja« und ging mit zu der Schatzkammer. Da besah er die Türe oben und unten, ob kein Ritz darin wäre. Nicht lange so entdeckte er einen, der breit genug war um ihn einzulassen. Er wollte auch gleich hindurch, aber eine von den beiden Schildwachen, die vor der Tür standen, bemerkte ihn und sprach zu der andern »was kriecht da für eine hässliche Spinne? Ich will sie tot treten.«
»Lass das arme Tier gehen«, sagte die andere, »es hat dir ja nichts getan.« Nun kam der Däumling durch den Ritz glücklich in die Schatzkammer, öffnete das Fenster, unter welchem die Räuber standen, und warf ihnen einen Taler nach dem andern hinaus. Als das Schneiderlein in der besten Arbeit war, hörte es den König kommen, der seine Schatzkammer besehen wollte, und verkroch sich eilig. Der König merkte daß viele harte Taler fehlten, konnte aber nicht begreifen wer sie sollte gestohlen haben, da Schlösser und Riegel in gutem Stand waren, und alles wohl verwahrt schien.
Da ging er wieder fort und sprach zu den zwei Wachen »habt acht, es ist einer hinter dem Geld.« Als der Däumling nun seine Arbeit von neuem anfing, hörten sie das Geld drinnen sich regen und klingen klipp, klapp, klipp, klapp. Sie sprangen geschwind hinein und wollten den Dieb greifen. Aber das Schneiderlein, das sie kommen hörte, war noch geschwinder, sprang in eine Ecke und deckte einen Taler über sich, so dass nichts von ihm zu sehen war, dabei neckte es noch die Wachen und rief: »hier bin ich.«
Die Wachen liefen dahin, wie sie aber ankamen, war es schon in eine andere Ecke unter einen Taler gehüpft, und rief: »he, hier bin ich.« Die Wachen sprangen eilends herbei, Däumling war aber längst in einer dritten Ecke und rief: »he, hier bin ich.« Und so hatte es sie zu Narren und trieb sie so lange in der Schatzkammer herum, bis sie müde waren und davon gingen. Nun warf es die Taler nach und nach alle hinaus: den letzten schnellte es mit aller Macht, hüpfte dann selber noch behendiglich darauf und flog mit ihm durchs Fenster hinab.
Die Räuber machten ihm große Lobsprüche, »du bist ein gewaltiger Held«, sagten sie, »willst du unser Hauptmann werden?« Däumling bedankte sich aber und sagte er wollte erst die Welt sehen. Sie teilten nun die Beute, das Schneiderlein aber verlangte nur einen Kreuzer, weil es nicht mehr tragen konnte.
Darauf schnallte es seinen Degen wieder um den Leib, sagte den Räubern guten Tag und nahm den Weg zwischen die Beine. Es ging bei einigen Meistern in Arbeit, aber sie wollte ihm nicht schmecken: endlich verdingte es sich als Hausknecht in einem Gasthof. Die Mägde aber konnten es nicht leiden, denn ohne daß sie ihn sehen konnten sah er alles, was sie heimlich taten, und gab bei der Herrschaft an was sie sich von den Tellern genommen und aus dem Keller für sich weggeholt hatten.
Da sprachen sie: »wart, wir wollen es dir eintränken« und verabredeten untereinander ihm einen Schabernack anzutun. Als die eine Magd bald hernach im Garten mähte, und den Däumling da herumspringen und an den Kräutern auf und abkriechen sah, mähte sie ihn mit dem Gras schnell zusammen, band alles in ein großes Tuch und warf es heimlich den Kühen vor. Nun war eine große schwarze darunter, die schluckte ihn mit hinab, ohne ihm weh zu tun. Unten gefiels ihm aber schlecht, denn es war da ganz finster und brannte auch kein Licht. Als die Kuh gemelkt wurde, da rief er
»strip, strap, stroll,
ist der Eimer bald voll?«
Doch bei dem Geräusch des Melkens wurde er nicht verstanden. Hernach trat der Hausherr in den Stall und sprach: »morgen soll die Kuh da geschlachtet werden.« Da ward dem Däumling angst, dass er mit heller Stimme rief: »lasst mich erst heraus, ich sitze ja drin.« Der Herr hörte das wohl,
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