Grimms Märchen, Vollständig überarbeitete und illustrierte Ausgabe speziell für digitale Lesegeräte (German Edition)
den Mann heftig an. »Willst du schweigen, du böse Kröte«, sprach er, »sonst schieß ich dich tot.« Da rief die Hexe zornig »was, mein Hündchen willst du töten!« und verwandelte ihn alsbald, dass er da lag wie ein Stein, und seine Braut erwartete ihn umsonst und dachte »es ist gewiss eingetroffen, was mir so Angst machte und so schwer auf dem Herzen lag.«
Daheim aber stand der andere Bruder bei den Goldlilien, als plötzlich eine davon umfiel. »Ach Gott«, sprach er, »meinem Bruder ist ein großes Unglück zugestoßen, ich muss fort, ob ich ihn vielleicht errette.« Da sagte der Vater »bleib hier, wenn ich auch dich verliere, was soll ich anfangen?«
Er aber antwortete: »ich soll und muss fort.« Da setzte er sich auf sein goldenes Pferd und ritt fort und kam in den großen Wald, wo sein Bruder lag und Stein war. Die alte Hexe kam aus ihrem Haus, rief ihn an und wollte ihn auch berücken, aber er näherte sich nicht, sondern sprach: »ich schieße dich nieder, wenn du meinen Bruder nicht wieder lebendig machst.« Sie rührte, so ungerne sies auch tat, den Stein mit dem Finger an, und alsbald erhielt er sein menschliches Leben zurück.
Die beiden Goldkinder aber freuten sich, als sie sich wiedersahen, küssten und herzten sich, und ritten zusammen fort aus dem Wald, der eine zu seiner Braut, der andere heim zu seinem Vater. Da sprach der Vater »ich wusste wohl, dass du deinen Bruder erlöst hattest, denn die goldene Lilie ist auf einmal wieder aufgestanden und hat fortgeblüht.« Nun lebten sie vergnügt, und es ging ihnen wohl bis an ihr Ende.
Der Fuchs und die Gänse
D er Fuchs kam einmal auf eine Wiese, wo eine Herde schöner, fetter Gänse saß; da lachte er und sprach: »Ich komme ja wie gerufen, ihr sitzt hübsch beisammen, so kann ich eine nach der andern auffressen.« Die Gänse gackerten vor Schrecken, sprangen auf, fingen an zu jammern und kläglich um ihr Leben zu bitten.
Der Fuchs aber wollte auf nichts hören und sprach: »Da ist keine Gnade, ihr müßt sterben.« Endlich nahm sich eine das Herz und sagte: »Sollen wir armen Gänse doch einmal unser jungfrisch Leben lassen, so erzeige uns die einzige Gnade und erlaub uns noch ein Gebet, damit wir nicht in unsern Sünden sterben; hernach wollen wir uns auch in eine Reihe stellen, damit du dir immer die fetteste aussuchen kannst.« – »Ja«, sagte der Fuchs, »das ist billig und ist eine fromme Bitte; betet, ich will solange warten.« Also fing die erste ein recht langes Gebet an, immer »ga! Ga!«, und weil sie gar nicht aufhören wollte, wartete die zweite nicht, bis die Reihe an sie kam, sondern fing auch an »ga! Ga!«
Die dritte und vierte folgten ihr, und bald gackerten sie alle zusammen. (Und wenn sie ausgebetet haben, soll das Märchen weiter erzählt werden, sie beten aber alleweile noch immerfort.)
Der Arme und der Reiche
V or alten Zeiten, als der liebe Gott noch selber auf Erden unter den Menschen wandelte, trug es sich zu, daß er eines Abends müde war und ihn die Nacht überfiel, bevor er zu einer Herberge kommen konnte. Nun standen auf dem Weg vor ihm zwei Häuser einander gegenüber, das eine groß und schön, das andere klein und ärmlich anzusehen, und gehörte das große einem reichen, das kleine einem armen Manne. Da dachte unser Herrgott: Dem Reichen werde ich nicht beschwerlich fallen; bei ihm will ich übernachten.
Der Reiche, als er an seine Türe klopfen hörte, machte das Fenster auf und fragte den Fremdling, was er suche? Der Herr antwortete: »Ich bitte um ein Nachtlager.« Der Reiche guckte den Wandersmann vom Haupt bis zu den Füßen an, und weil der liebe Gott schlichte Kleider trug und nicht aussah wie einer, der viel Geld in der Tasche hat, schüttelte er mit dem Kopf und sprach: »Ich kann Euch nicht aufnehmen, meine Kammern liegen voll Kräuter und Samen, und sollte ich einen jeden beherbergen, der an meine Tür klopft, so könnte ich selber den Bettelstab in die Hand nehmen. Sucht Euch anderswo ein Auskommen.«
Schlug damit sein Fenster zu und ließ den lieben Gott stehen. Also kehrte ihm der liebe Gott den Rücken und ging hinüber zu dem kleinen Haus. Kaum hatte er angeklopft, so klinkte der Arme schon sein Türchen auf und bat den Wandersmann einzutreten.
»Bleibt die Nacht über bei mir«, sagte er, »es ist schon finster, und heut könnt Ihr doch nicht weiterkommen.« Das gefiel dem lieben Gott, und er trat zu ihm ein. Die Frau des Armen
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