Grimms Märchen, Vollständig überarbeitete und illustrierte Ausgabe speziell für digitale Lesegeräte (German Edition)
kein gut.« – »Warum nicht?«, fragte der Herr. »Hört Ihr dort von der Wiese her den dumpfen Ruf?«, antwortete der Hirt. »Das ist die Rohrdommel, die war sonst ein Hirte, und der Wiedehopf war es auch. Ich will Euch die Geschichte erzählen.
Die Rohrdommel hütete ihre Herde auf den fetten grünen Wiesen, wo Blumen im Überfluß standen, davon wurden ihre Kühe mutig und wild. Der Wiedehopf aber trieb das Vieh auf hohe dürre Berge, wo der Wind mit dem Sand spielt, und seine Kühe wurden mager und kamen nicht zu Kräften. Wenn es Abend war und die Hirten heimwärts trieben, konnte Rohrdommel ihre Kühe nicht zusammenbringen, sie waren übermütig und sprangen ihr davon. Sie rief: Bunt, herum – Bunte Kuh, herum! Doch vergebens, sie hörten nicht auf ihren Ruf. Wiedehopf aber konnte sein Vieh nicht auf die Beine bringen, so matt und kraftlos war es geworden. ›Up, up, up!‹, schrie er; aber es half nicht, sie blieben auf dem Sand liegen. So geht’s, wenn man kein Maß hält. Noch heute, wo sie keine Herde mehr hüten, schreit die Rohrdommel: ›Bunt, herum!‹ Und der Wiedehopf: ›Up, up, up!‹«
Die Eule
V or ein paar hundert Jahren, als die Leute noch lange nicht so klug und verschmitzt waren, als sie heutzutage sind, hat sich in einer kleinen Stadt eine seltsame Geschichte zugetragen. Von ungefähr war eine von den großen Eulen, die man Schuhu nennt, aus dem benachbarten Walde bei nächtlicher Weile in die Scheuer eines Bürgers geraten und wagte sich, als der Tag anbrach, aus Furcht vor den Vögeln, die, wenn sie sich blicken läßt, ein furchtbares Geschrei erheben, nicht wieder aus ihrem Schlupfwinkel heraus.
Als nun der Hausknecht morgens in die Scheuer kam, um Stroh zu holen, erschrak er bei dem Anblick der Eule, die da in einer Ecke saß, so gewaltig, daß er fortlief und seinem Herrn ankündigte, ein Ungeheuer wie er zeit seines Lebens keins erblickt hätte, säße in der Scheuer, drehte die Augen im Kopf herum und könnte einen ohne Umstände verschlingen.
»Ich kenn dich schon«, sagte der Herr, »einer Amsel im Felde nachzujagen, dazu hast du Mut genug; aber wenn du ein totes Huhn liegen siehst, so holst du dir erst einen Stock, ehe du ihm nahekommst. Ich muß nur selbst einmal nachsehen, was das für ein Ungeheuer ist«, setzte der Herr hinzu, ging ganz tapfer zur Scheuer hinein und blickte umher.
Als er aber das seltsame und greuliche Tier mit eigenen Augen sah, so geriet er in nicht geringere Angst als der Knecht. Mit ein paar Sätzen sprang er hinaus, lief zu seinen Nachbarn und bat sie flehentlich, ihm gegen ein unbekanntes und gefährliches Tier Beistand zu leisten; ohnehin könnte die ganze Stadt in Gefahr kommen, wenn es aus der Scheuer, wo es säße, herausbräche. Es entstand großer Lärm und Geschrei in allen Straßen: die Bürger kamen mit Spießen, Heugabeln, Sensen und Äxten bewaffnet herbei, als wollten sie gegen den Feind ausziehen; zuletzt erschienen auch die Herren des Rats mit dem Bürgermeister an der Spitze.
Als sie sich auf dem Markt geordnet hatten, zogen sie zu der Scheuer und umringten sie von allen Seiten. Hierauf trat einer der Beherztesten hervor und ging mit gefälltem Spieß hinein, kam aber gleich darauf mit einem Schrei und totenbleich wieder herausgelaufen und konnte kein Wort hervorbringen. Noch zwei andere wagten sich hinein, es erging ihnen aber nicht besser. Endlich trat einer hervor, ein großer starker Mann, der wegen seiner Kriegstaten berühmt war, und sprach: »Mit bloßem Ansehen werdet ihr das Ungetüm nicht vertreiben, hier muß Ernst gebraucht werden; aber ich sehe, daß ihr alle zu Weibern geworden seid und keiner den Fuchs beißen will.«
Er ließ sich Harnisch, Schwert und Spieß bringen und rüstete sich. Alle rühmten seinen Mut, obgleich viele um sein Leben besorgt waren. Die beiden Scheuertore wurden aufgetan, und man erblickte die Eule, die sich indessen in die Mitte auf einen großen Querbalken gesetzt hatte. Er ließ eine Leiter herbeibringen, und als er sie anlegte und sich bereitete hinaufzusteigen, so riefen ihm alle zu, er solle sich männlich halten und empfahlen ihn dem heiligen Georg, der den Drachen getötet hatte.
Als er bald oben war und die Eule sah, daß er an sie wollte, auch von der Menge und dem Geschrei des Volkes verwirrt war und nicht wußte, wo hinaus, so verdrehte sie die Augen, sträubte die Federn, sperrte die Flügel auf, gnappte mit dem Schnabel und ließ ihr Schuhu,
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