Grimms Märchen, Vollständig überarbeitete und illustrierte Ausgabe speziell für digitale Lesegeräte (German Edition)
der nach dem Glasberge führt.«
»Der Weg geht durch den großen Wald, in dem die Menschenfresser hausen«, antwortete sie, »mehr darf ich dir nicht sagen.«
Darauf hörte er, wie sie fortschwirrte.
Bei Anbruch des Tages machte sich der Trommler auf, hing seine Trommel um und ging ohne Furcht in den Wald hinein. Als er ein Weilchen gegangen war und keinen Riesen erblickte, so dachte er: Ich muß die Langschläfer aufwecken, hing die Trommel vor und schlug einen Wirbel, daß die Vögel mit Geschrei aufflogen. Nicht lange, so erhob sich auch ein Riese in die Höhe, der im Gras gelegen und geschlafen hatte, und war so groß wie ein Tanne. »Du Wicht«, rief er ihm zu, »was trommelst du hier und weckst mich aus dem besten Schlaf?« – »Ich trommle«, antwortete er, »weil viele Tausende hinter mir herkommen, damit sie den Weg wissen.« – »Was wollen die hier in meinem Wald?«, fragte der Riese. »Sie wollen dir den Garaus machen und den Wald von einem Ungetüm, wie du bist, säubern.« – »Oho«, sagte der Riese, »ich trete euch wie Ameisen tot.« – »Meinst du, du könntest gegen sie etwas ausrichten?«, sprach der Trommler. »Wenn du dich bückst, um einen zu packen, so springt er fort und versteckt sich; wie du dich aber niederlegst und schläfst, so kommen sie aus allen Gebüschen herbei und kriechen an dir hinauf. Jeder hat einen Hammer von Stahl am Gürtel stecken, damit schlagen sie dir den Schädel ein.«
Der Riese ward verdrießlich und dachte: Wenn ich mich mit dem listigen Volk befasse, so könnte es doch zu meinem Schaden ausschlagen. Wölfen und Bären drücke ich die Gurgel zusammen, aber vor den Erdwürmern kann ich mich nicht schützen. »Hör, kleiner Kerl«, sprach er, »zieh wieder ab; ich verspreche dir, daß ich dich und deine Gesellen in Zukunft in Ruhe lassen will, und hast du noch einen Wunsch, so sag’s mir, ich will dir wohl etwas zu Gefallen tun.« – »Du hast lange Beine«, sprach der Trommler, »und kannst schneller laufen als ich; trag mich zum Glasberge, so will ich den Meinigen ein Zeichen zum Rückzuge geben, und sie sollen dich diesmal in Ruhe lassen.« – »Komm her, Wurm«, sprach der Riese, »setz dich auf meine Schulter, ich will dich tragen, wohin durch verlangst.«
Der Riese hob ihn hinauf, und der Trommler fing oben an, nach Herzenslust auf der Trommel zu wirbeln. Der Riese dachte: Das wird das Zeichen sein, daß das andere Volk zurückgehen soll. Nach einer Weile stand ein zweiter Riese am Weg, der nahm den Trommler dem ersten ab und steckte ihn in sein Knopfloch. Der Trommler faßte den Knopf, der wie eine Schüssel groß war, hielt sich daran und schaute ganz lustig umher. Da kamen sie zu einem dritten, der nahm ihn aus dem Knopfloch und setzte ihn auf den Rand seines Hutes; da ging der Trommler oben auf und ab und sah über die Bäume hinaus, und als er in blauer Ferne einen Berg erblickte, so dachte er: Das ist gewiß der Glasberg, und er war es auch. Der Riese tat nur noch ein paar Schritte, so waren sie an dem Fuß des Berges angelangt, wo ihn der Riese absetzte. Der Trommler verlangte, er solle ihn auch auf die Spitze des Glasberges tragen; aber der Riese schüttelte mit dem Kopf, brummte etwas in den Bart und ging in den Wald zurück.
Nun stand der arme Trommler vor dem Berg, der so hoch war, als wenn drei Berge aufeinandergesetzt wären und dabei so glatt wie ein Spiegel, und wußte keinen Rat, um hinaufzukommen. Er fing an zu klettern, aber vergeblich, er rutschte immer wieder ab. Wer jetzt ein Vogel wäre, dachte er; aber was half das Wünschen, es wuchsen ihm keine Flügel. Indem er so stand und sich nicht zu helfen wußte, erblickte er nicht weit von sich zwei Männer, die heftig miteinander stritten. Er ging auf sie zu und sah, daß sie wegen eines Sattels uneins waren, der vor ihnen auf der Erde lag und den jeder von ihnen haben wollte. »Was seid ihr für Narren«, sprach er, »zankt euch um einen Sattel und habt kein Pferd dazu.« – »Der Sattel ist wert, daß man darum streitet«, antwortete der eine von den Männern; »wer darauf sitzt und wünscht sich irgendwohin, und wär’s am Ende der Welt, der ist im Augenblick angelangt, wie er den Wunsch ausgesprochen hat. Der Sattel gehört uns gemeinschaftlich, die Reihe, darauf zu reiten, ist an mir; aber der andere will es nicht zulassen.« – »Den Streit will ich bald austragen«, sagte der Trommler, ging eine Strecke weit und steckte einen weißen Stab in die
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