Grimpow Das Geheimnis der Weisen
des Übergangs?«, fragte er und konnte es kaum abwarten, die Kathedrale zu verlassen und möglichst bald aus Paris fortzugehen. Mit jeder Stunde, die verstrich, wurde die Wahrscheinlichkeit nämlich größer, dass die ersten Soldaten des königlichen Heeres in die französische Hauptstadt zurückkehrten. Er rechnete sogar damit, dass Burumar de Gostelle unter ihnen war, um dem König persönlich zu unterbreiten, dass seine Mission gescheitert war.
»Wir wissen noch nicht, ob sie hier in Paris sind, in Reims, in Chartres oder in Amiens«, sagte Weynelle. »Fest steht nur, dass das Geheimnis der Weisen in der Kathedrale einer dieser vier Städte verborgen liegt.«
»Wie wollt ihr das herausbekommen?«, fragte Salietti. Aus den Augenwinkeln behielt er eine Pilgergruppe im Auge, die soeben die Kathedrale durch das gegenüberliegende Seitenportal betreten hatte und jetzt einen Lobgesang anstimmte.
»Wenn die letzten Worte, die wir zu Füßen des Teufels gefunden haben, den Schlüssel nicht enthalten, dann ist er vielleicht in den vier Ecksymbolen der Sternkarte des Unsichtbaren Weges zu finden. Die haben wir bei unseren bisherigen Untersuchungen völlig außer Acht gelassen«, sagte Grimpow und zeigte ihnen noch einmal seine Aufzeichnungen.
Dann malte er die fünf Zeichen in beliebiger Reihenfolge von der Sternkarte ab.
»Wir sollten die ganze Kathedrale nach diesen Zeichen absuchen, einzeln oder zusammen, und gleichgültig in welcher Anordnung. In ihnen muss der Schlüssel zu dem Ort verborgen sein, wo das Geheimnis der Weisen liegt. Sie sind nämlich das letzte Glied in der Kette, ehe wir die Säulen des Übergangs durchschreiten und das Labyrinth betreten können. In Aidor Bilbicums Manuskript ist das die letzte Etappe und die muss hier irgendwo sein. Lasst uns jeder für sich losgehen und jeweils ein Kirchenschiff absuchen, danach treffen wir uns hier wieder«, bestimmte er.
»Ich glaube, es ist nicht nötig, dass jeder für sich losgeht«, widersprach Weynelle. Sie fürchtete sich nämlich alleine vor all den Christusfiguren, Madonnen und Heiligen, die trotz ihres menschlichen Aussehens wie Wesen aus einer anderen Welt aus ihren Steinnischen dreinsahen.
»Einzeln erregen wir weniger Aufsehen und verdreifachen unsere Möglichkeiten, die Zeichen in dieser riesigen Kathedrale zu entdecken«, versuchte Grimpow sie zu überzeugen.
Weynelle und Salietti fügten sich dem Jungen, der inzwischen das Kommando übernommen hatte, wie ein Seneschall, der für seine Bogenschützen den Angriff plant. Letzten Endes war er der neue Besitzer des Steins, und das Wirken des Universums hatte inzwischen einen furchtlosen, weisen jungen Mann aus ihm gemacht, ohne dass er es selbst bemerkt hätte.
Sie gingen in der Kathedrale sämtliche Seitenkapellen ab, dann den Chorumgang und den Altarraum, untersuchten jede Säule, jede Skulptur, jedes Gemälde und jedes Fensterbild und erforschten alle möglichen darauf abgebildeten biblischen Geschichten. In einem Moment meinte Grimpow, auf einer der Kanzeln, die sich rechts und links vom Presbyterium erhoben, einen Schatten zu sehen. Offenbar wurde er beobachtet, doch als der Knappe auf den Fremden aufmerksam wurde, duckte dieser sich rasch und verschwand. Er fasste sich ein Herz und stieg das Treppchen zur Kanzel hinauf, um nachzuschauen, konnte aber niemanden entdecken. Da tat er die Sache mit dem Gedanken ab, dass er sich das aus lauter Angst vor Burumar de Gostelles Schergen nur eingebildet hatte. Er stieg wieder von der Kanzel herunter und kehrte zu Weynelle und Salietti zurück.
Sie trafen sich mit hängenden Köpfen im Mittelschiff vor dem Hauptportal, weil ihre Suche vollkommen unergiebig gewesen war. In der Kathedrale wimmelte es nur so von Symbolen und Zeichen, aber keines ähnelte denen, die sie suchten. Sollte es ihnen jedoch nicht bald gelingen herauszubekommen, in welcher der vier Städte sich die Säulen des Übergangs befanden, würden ihnen die Bluthunde des Inquisitors ganz gewiss auf die Spur kommen. Dann würden sie Gefahr laufen, ihr halbes Leben lang von Paris nach Reims, nach Amiens oder nach Chartres weiterzuziehen, ohne diesem ausweglosen, waghalsigen Teufelskreis je entkommen zu können.
»Lasst uns nach Amiens reiten. Dort gibt es eine beeindruckende Kathedrale und die Stadt liegt auf der Landkarte am Ende des Unsichtbaren Weges. Da uns nur noch eine Etappe fehlt, um ins Labyrinth zu gelangen, steht für mich außer Zweifel, dass sich die Säulen des
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