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Grischa: Der allzu schlaue Fuchs: Ein Märchen aus Rawka (German Edition)

Grischa: Der allzu schlaue Fuchs: Ein Märchen aus Rawka (German Edition)

Titel: Grischa: Der allzu schlaue Fuchs: Ein Märchen aus Rawka (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Leigh Bardugo
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»Besonders die Gabe zu töten. Du musst, sonst wird mein Vater nicht mehr zulassen, dass wir einander sehen.«
    Das war eine beängstigende Vorstellung. »Ich weiß nicht, wie ich sie beherrschen soll.«
    Raffin überlegte. »Du könntest Oll fragen. Die Spione des Königs wissen, wie man verletzt, ohne zu töten. So bekommen sie ihre Informationen.«
    Raffin war elf, drei Jahre älter als Katsa, und nach ihren jungen Maßstäben sehr weise. Sie folgte seinem Rat und ging zu Oll, König Randas ergrauendem Hauptmann und Meisterspion. Oll war nicht dumm, er wusste, dass er das stille Mädchen mit einem blauen und einem grünen Auge fürchten musste. Doch er hatte auch eine gewisse Fantasie. Er fragte sich, was sich noch keiner gefragt hatte, nämlich ob Katsa über den Tod ihres Cousins nicht genauso erschrocken gewesen war wie alle anderen. Und je mehr er darüber nachdachte, umso mehr interessierte er sich für ihre Möglichkeiten.
    Er begann mit ihrer Ausbildung, indem er Regeln aufstellte. Sie sollte nicht an ihm oder anderen Männern des Königs üben, sondern an Puppen, die sie aus zusammengenähten und mit Getreide gefüllten Säcken machte. Sie sollte an den Gefangenen üben, die Oll zu ihr brachte, Männer, die bereits zum Tod verurteilt waren.
    Sie übte jeden Tag. Sie lernte ihre eigene Geschwindigkeit und ihre eigene explosive Kraft zu berechnen. Sie lernte alles über Winkel, Platzierung und Intensität eines tödlichen Schlags im Gegensatz zu einem Schlag, der ihr Gegenüber nur zum Krüppel machte. Sie lernte, wie man einen Mann entwaffnet, wie man ihm das Bein bricht und wie man seinen Arm so verdreht, dass er aufhört, sich zu wehren, und um Gnade bittet. Sie lernte mit einem Schwert zu kämpfen, mit Messern und mit Dolchen. Sie war so schnell und zielgerichtet und so kreativ, dass sie einen Mann ohnmächtig schlagen konnte, obwohl man ihr beide Arme an den Seiten festgebunden hatte. Das war ihre Gabe.
    Mit der Zeit besserte sich ihre Kontrolle und sie begann mit Randas Soldaten zu üben – acht oder zehn auf einmal und in voller Rüstung. Ihre Übungsstunden gaben ein großartiges Schauspiel ab: Erwachsene Männer knurrten und klapperten unbeholfen umher, und ein unbewaffnetes Kind wirbelte und tauchte zwischen ihnen hin und her und schlug sie mit einem Knie oder einer Hand nieder, die sie erst sahen, wenn sie bereits am Boden lagen. Manchmal kamen Angehörige des Hofs vorbei und schauten bei ihren Übungen zu. Aber wenn Katsa ihren Blick auffing, senkten sie die Augen und eilten davon.
    König Randa nahm keinen Anstoß daran, dass Oll seine Zeit dafür opferte. Er hielt es für notwendig. Katsa würde ihm nichts nützen, wenn sie ihre Gabe nicht beherrschte.
    Und jetzt, in König Murgons Schlosshof, hätte ihr niemand mangelnde Beherrschung vorwerfen können. Schnell, geräuschlos bewegte sie sich über das Gras neben den kiesbedeckten Wegen. Inzwischen mussten Oll und Giddon schon fast die Gartenmauer erreicht haben, wo zwei Diener von Murgon, Freunde des Rats, ihre Pferde bewachten. Sie war selbst schon beinah dort, sah die dunkle Mauer aufragen, schwarz vor einem schwarzen Himmel.
    Ihre Gedanken wanderten, doch sie hing keinen Tagträumen nach. Ihre Sinne waren geschärft. Sie bemerkte jedes Blatt, das im Garten fiel, jeden Ast, der knackte. Und deshalb war sie verblüfft, als ein Mann aus dem Dunkel trat und sie von hinten packte. Er schlang seinen Arm um ihre Brust und hielt ihr ein Messer an die Kehle. Er setzte zum Sprechen an, doch im nächsten Augenblick hatte sie seinen Arm bereits gelähmt, ihm das Messer aus der Hand gerissen und es auf den Boden geworfen. Sie schleuderte den Mann über ihre Schulter vor sich.
    Er landete auf den Füßen.
    Ihre Gedanken rasten. Er war ein Beschenkter, ein Kämpfer. So viel war klar. Und wenn die Hand, die ihre Brust gestreift hatte, nicht gefühllos war, wusste er, dass er eine Frau vor sich hatte.
    Er drehte sich zu ihr um. Argwöhnisch betrachteten sie einander, beide für den anderen nicht mehr als ein Schatten. Er sprach zuerst.
    »Ich habe von einer Dame mit dieser besonderen Gabe gehört.« Seine Stimme war ernst und tief, er hatte einen Tonfall, einen Akzent, den sie nicht kannte. Sie musste herausfinden, wer er war, um zu entscheiden, was sie mit ihm machen sollte.
    »Ich kann mir nicht vorstellen, was diese Dame so fern von zu Hause vorhaben könnte, um Mitternacht hier im Schlosshof von König Murgon«, sagte er. Mit einer kaum wahrnehmbaren

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