Grischa: Der allzu schlaue Fuchs: Ein Märchen aus Rawka (German Edition)
nicht mehr richtig schloss.
Der Fuchs und die Nachtigall führten ein stilles gemeinsames Leben. Ein weniger gewieftes Geschöpf hätte Koja wohl seine Irrtümer vorgehalten und über seinen Stolz gelästert. Aber Lula war nicht nur schlau. Sondern obendrein weise.
In diesen Verliesen
herrschte vollkommene Finsternis, doch Katsa hatte einen Grundriss im Kopf. Bis jetzt hatte er genau gestimmt, so wie sie es von Olls Karten und Plänen gewohnt war. Katsa strich mit der Hand die kalten Mauern entlang und zählte im Vorbeigehen Türen und Gänge. Sie bog um die Ecke, wenn es Zeit dafür war, und blieb schließlich vor einer Maueröffnung stehen, in der eine Treppe nach unten führen sollte. Sie kauerte sich nieder und tastete sich mit den Händen vor, berührte eine Steinstufe, feucht und glatt, von Moos überzogen, und eine weitere rutschige Stufe darunter. Das also war Olls Treppe. Sie hoffte nur, Oll und Giddon, die ihr mit den Fackeln folgten, würden das schleimige Moos sehen, vorsichtig sein und die Toten in diesen Verliesen nicht durch einen Sturz auf der Treppe wecken.
Katsa glitt die Treppe hinunter. Eine Abzweigung nach links und zwei nach rechts. Sie hörte bereits Stimmen, als sie in einen Gang kam, in dem eine Fackel in der Halterung an der Wand flackerndes orangefarbenes Licht in die Dunkelheit warf. Gegenüber der Fackel öffnete sich ein weiterer Gang. Und in diesem Gang würden nach Olls Bericht zwei bis zehn Wachen vor einer bestimmten Zelle am Ende des Korridors stehen.
Diese Wachen waren Katsas Aufgabe. Ihretwegen war sie vorausgeschickt worden.
Katsa schlich auf das Licht und das Gelächter zu. Sie könnte anhalten und horchen, um eine genauere Vorstellung zu bekommen, wie vielen Männern sie gegenüberstehen würde, doch ihr blieb keine Zeit. Sie zog ihre Kapuze tief herunter und bog um die Ecke.
Fast wäre sie über ihre ersten vier Opfer gestolpert, die einander auf dem Boden gegenübersaßen und sich mit dem Rücken an die Wand lehnten. In der Luft lag der Gestank irgendeines hochprozentigen Getränks, das sie mit heruntergebracht hatten, um sich die Wachzeit zu vertreiben. Katsa trat und schlug auf Schläfen und Nacken, und die vier waren zusammengesackt, bevor sich die Überraschung in ihren Augen spiegelte.
Jetzt saß nur noch ein Wachmann vor dem Zellengitter am Ende des Gangs. Hastig stand er auf und zog sein Schwert aus der Scheide. Während sie auf ihn zuging, war sie sicher, dass er ihr Gesicht und vor allem ihre Augen wegen der Fackel hinter ihr nicht erkennen konnte. Sie taxierte seine Größe, seine Bewegungen, die Kraft des Arms, der ihr das Schwert entgegenhielt.
»Bleib stehen. Ich weiß, wer du bist.« Seine Stimme klang gelassen. Er war tapfer, dieser Mann. Warnend durchschnitt er die Luft mit seinem Schwert. »Du machst mir keine Angst.«
Er griff an. Sie duckte sich unter seiner Schwertklinge und schwang die Beine wie Windmühlenflügel. Ein Fuß traf seine Schläfe und der Mann fiel zu Boden.
Sie stieg über ihn, lief zum Gitter und spähte in die dunkle Zelle. Eine Gestalt kauerte an der hinteren Wand, ein Mensch, der zu müde oder zu durchfroren war, um sich für den Kampf im Korridor zu interessieren. Er hatte die Arme um seine Knie geschlungen und den Kopf dazwischengesteckt. Er schauderte – Katsa konnte seinen Atem hören. Sie bewegte sich und das Licht fiel auf seine gekrümmte Gestalt. Sein Haar war weiß und kurz geschoren, und sie bemerkte den Goldschimmer an seinem Ohr. Olls Karten hatten ihren Zweck erfüllt, dieser Mann war ein Lienid. Er war der, den sie suchten.
Sie zog am Türriegel. Verschlossen. Nun, das war keine Überraschung, und es war nicht ihr Problem. Sie pfiff einmal, leise, wie eine Eule. Dann streckte sie den tapferen Wachmann auf dem Rücken aus und warf ihm eine ihrer Pillen in den Mund. Sie lief durch den Korridor, drehte die vier Unglücklichen nebeneinander auf den Rücken und gab auch ihnen je eine Pille. Gerade als sie sich fragte, ob Oll und Giddon sich im Kerker verirrt hatten, kamen sie um die Ecke und schlüpften an ihr vorbei.
»Eine Viertelstunde, nicht mehr«, sagte sie.
»Eine Viertelstunde, Mylady.« Olls Stimme klang wie Knurren. »Seien Sie vorsichtig.«
Ihr Fackellicht ergoss sich über die Wände, als sie sich der Zelle näherten. Der Lienid stöhnte und schlang die Arme enger um sich. Katsa sah, dass seine Kleidung zerrissen und beschmutzt war. Sie hörte, wie die Dietriche an Giddons Ring
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