Grisham, John
Himmel. Obwohl er
wusste, wo er war, dauerte es ein paar Minuten, bis er sich davon überzeugt
hatte, dass er nicht mehr träumte.
An den Wänden hingen billige Aquarelle mit Strandlandschaften. Der Fußboden
bestand aus gestrichenen Holzdielen. Er lauschte auf die Brandung und hörte in
der Ferne Seemöwen rufen. Sonst war es still, ganz anders als in Chelsea, wo
bereits früh am Morgen geschäftige Hektik herrschte. Kein Wecker, der ihn zu
unchristlich früher Stunde aus dem Schlaf riss. Kein Grund, schnell unter die
Dusche zu springen, sich anzuziehen und ins Büro zu rasen. Nichts davon,
zumindest nicht heute.
Keine
schlechte Art, den Rest seines Lebens zu beginnen. Das Schlafzimmer war eines
von dreien in einem bescheidenen zweistöckigen Strandhaus, das das FBI in
Destin, Florida, am Golf von Mexiko gemietet hatte - mit dem Learjet zwei
Stunden und achtundvierzig Minuten von Teterboro in New Jersey entfernt. Er und
seine neuen Freunde waren kurz vor vier Uhr morgens in Destin gelandet. Dort
hatte sie ein Lieferwagen mit Bewaffneten in Empfang genommen und war mit ihnen
über den Highway 98 gerast, vorbei an endlosen Reihen leerstehender
Ferienwohnungen, Strandhäuser und kleiner Hotels. Den Parkplätzen nach zu
urteilen, hatten sich bereits einige Touristen in die Gegend verirrt, und viele
Autos hatten kanadische Kennzeichen.
Die beiden Fenster standen halb offen, und die Vorhänge blähten sich im Wind.
Es dauerte volle drei Minuten, bis sich Kyle an Bennie Wright erinnerte, aber
er verdrängte den Gedanken und konzentrierte sich auf das ferne Kreischen der
Möwen. Es klopfte leise an der Tür.
"Ja",
krächzte Kyle.
Die
Tür öffnete sich einen Spalt weit, und das pausbäckige Gesicht von Todd, seinem
neu gewonnenen besten Freund, erschien. "Sie wollten um zehn Uhr geweckt
werden."
"Danke."
"Alles
in Ordnung?"
"Ja,
natürlich."
Todd hatte sich der Truppe in Destin angeschlossen und sollte nun den Zeugen
oder Informanten oder was immer Kyle für das FBI war, bewachen. Er war vom Büro
in Pensacola, hatte in Auburn studiert, war nur zwei Jahre älter als Kyle und
redete mehr als alle anderen echten und falschen FBI-Agenten, die Kyle auf
seinem Leidensweg bisher begegnet waren.
Kyle verließ sein weiches Wolkenbett und spazierte, nur mit Boxershorts
bekleidet, in das große Wohnzimmer mit der offenen Küche. Todd war im Supermarkt
gewesen. Überall auf der Theke standen und lagen Cornflakesschachteln,
Müsliriegel, Kekse, Chips und andere abgepackte Lebensmittel herum.
"Kaffee?",
fragte Todd. "Ja bitte."
Auf dem Küchentisch lagen ein paar zusammengefaltete Kleidungsstücke. Kyles
anderer neuer bester Freund nannte sich Barry und war ein älterer, ruhigerer
Mann mit vorzeitig ergrautem Haar und mehr Falten, als er mit seinen vierzig
Jahren hätte haben dürfen.
"Guten
Morgen", begrüßte er Kyle. "Wir waren einkaufen. T-Shirts, Shorts,
eine Freizeithose, Segelschuhe. Hochklassiges Zeug, direkt vom örtlichen
Discounter. Keine Sorge, die Kosten übernimmt Uncle Sam."
"Damit
sehe ich bestimmt umwerfend aus", sagte Kyle und nahm die Tasse Kaffee,
die Todd ihm reichte. Todd und Barry, die beide Polohemden und legere
Baumwollhosen trugen, waren unbewaffnet, aber ihre Waffen lagen in Reichweite.
Irgendwo in der Nähe trieben sich zwei weitere Beamte namens Nick und Matthew
herum.
"Ich
muss im Büro anrufen", sagte Kyle. "Sie wissen schon, mich krank
melden und erklären, dass ich heute nicht zur Arbeit komme. Mittlerweile werde
ich bestimmt schon vermisst." Todd holte das FirmFone hervor.
"Bedienen Sie sich. Das Gerät ist angeblich sicher. Aber geben Sie
keinerlei Hinweise auf Ihren Aufenthaltsort. Abgemacht?"
"Wo
bin ich denn?"
"In
der westlichen Hemisphäre."
"Genauer
muss es ja nicht sein."
Mit Kaffee und Telefon trat Kyle auf ein breites Sonnendeck hinaus, hinter dem
die Dünen begannen. Der Strand war lang, schön und menschenleer. Die Luft war
klar und frisch, aber viel wärmer als im eisigen New York. Widerwillig
inspizierte er sein Telefon. E-Mails, SMS und Sprachnachrichten von Doug
Peckham, Dale, Sherry Abney, Tim Reynolds, Tabor und ein paar anderen, aber
nichts Aufregendes. Er überflog sie rasch, doch es war nur die übliche tägliche
Kommunikationsflut von unter Hochdruck arbeitenden Menschen, die viel zu gut
miteinander vernetzt waren. Dale erkundigte sich zweimal nach seinem Befinden.
Er rief Doug Peckham an, erreichte die Mailbox und meldete, er habe
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