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Größenwahn

Größenwahn

Titel: Größenwahn Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl Bleibtreu
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»Infernal Train«, der »Höllenzug« der Chatam-Dover-Bahn!
    Die unerträgliche Hitze, das Ueberhasten mit der »Halben« Bordeaux und dem halben Huhn in Calais, die Jähe und Fremdartigkeit der wechselnden Bilder, die Hatz der unablässig weiterrasenden Lokomotive wirkten zusammen. Krastiniks röthlichbrauner Teint spielte ins Purpurne hinüber. Auf seiner breiten braunen Stirn, von der die Schweißtropfen perlten, traten die Adern hervor. Er bekam Nasenbluten. Indem er sich abwechselnd die Nase und die Stirn trocknete, verschwamm ihm Alles in einer unbestimmten Beleuchtung. Wie durch einen Nebel hindurch, sah er die feinen Züge und die elegante Haltung der englischen Damen, die ihm einer ganz andern höheren Race als auf dem Continent anzugehören schienen, und die nach deutschen Begriffen auffallende schweigende Galanterie der Männer. Wie durch einen Nebel hindurch, hörte er Englisch und Französisch wie eine Sprache durcheinanderparliren. Zeigt sich doch die innere unzerstörbare
Entente cordiale
der zwei Westmacht-Völker und ihr kaltverächtliches sich Abschließen gegen alle andern Nationalitäten nirgends so deutlich, wie auf der Reiseroute Paris-London.
    Ein Ruck weckte ihn aus seinen bewußtlosen Betrachtungen auf – stop! Charing Croß!
    Nachdem er noch während des Gepäck-Wartens die unheimliche Spionage eines zweideutig aussehenden Männchens, offenbar Detectiv, ausgehalten hatte, der in ihm eine Aehnlichkeit mit irgend einem Industrieritter zu wittern schien, aber durch seine hülflose Miene inmitten des ungeheuren Wirrwarrs dieser Centralstation vom Gegenteil überzeugt wurde – gelang es ihm überraschend gut, mit Zöllnern, Gepäckträgern, Cabmen fertig zu werden. Wider alles Erwarten ging ihm sein notdürftiges Stuben-Englisch glatt von der Zunge und sein durch die Aufregung geschärftes Ohr verstand die rapide Sprechweise des Londoner Cockney's ganz wohl. Auch als er seine Empfehlungskarte an den Besitzer eines vornehmen Privathotels in Piccadilly abgab, ging ihm die Rede erträglich von Statten. Zu seinem Mißvergnügen bemerkte er nur, daß der Millionär vor seinem continentalen Grafentitel wenig Ehrfurcht zu empfinden schien und daß auch dieser Busineß-Mann gentlemanlike Formen entwickelte. Wie viele Märchen hatte Graf Xaver, der in der Jugend nie über die Güter seiner Familie in Ungarn und später als Offizier nie über die engere österreichische Heimat hinausgekommen war, aus dieser Reise berichtigen müssen! Schon auf dem Bahnhof in Verviers fielen ihm kolossale massige Wallonen und lange martialische Franzosen ins Auge. War das die angeblich schwächer gebaute und zierliche Romanische Race? In Nordfrankreich sahen die Leute fast germanischer aus und zeigten eine frischere Hautfarbe als die Briten. Und diese Letzteren, die man ihm als schlenkernde Hopfenstangen ohne Manieren geschildert hatte, entpuppten sich schon beim ersten Eindruck als Gentlemen von wahrhaft musterhaftem Benehmen und zuvorkommender Höflichkeit, wie man sie selten auf dem Continente findet.
    Als er das breite Trottoir von Piccadilly behaglich hinunterschlenderte, um seinen ersten Abend auszunutzen, machte ein hinter ihm gehender Herr ihn mit höflichem Ernst darauf aufmerksam, daß seine Cravatte sich verschoben habe, nickte aber nur freundlich, als Krastinik dankend den Hut zog. Erst stutzte dieser – gewöhnte sich aber durch Beobachtung bald an den englischen Gruß des nicht-Hutziehens, statt dessen man den unentbehrlichen Regenschirm, der selbst bei schönstem Wetter hier nie daheim bleibt, zur Hutkrempe erhebt. – Später auf dem Oberdeck des ungeheuren blaugelben Omnibus, den er für eine Strecke bestieg, bot sein Nebenmann ihm freiwillig seine Lucifer-Matches an, als er Krastinik's Cigarrenbedürfniß merkte. Der biedre Graf verliebte sich auf den ersten Blick in die englische Nation. Allerdings, am Anfang, als er zu Charing Croß ins Freie gelangte, war ihm beklommen zu Muth gewesen, als das Brausen des Weltverkehrs immer höher anschwellend an sein Ohr schlug. Da kreuzten sich mit gellem Pfiff die Themsedampfer: ihr zischendes Schaufeln stimmte ein in das Poltern der Omnibusse, mit riesigen Pecheronpferden davor auf Trafalgar Square. Ueber den Dächern schnaubte das Dampfroß; hin mit flatternder Dunstmähne, unter der Erde donnerten seine ehernen Hufe. Und wie von hohem Riff, starrt Nelson von seiner Säule in den Menschenstendel hinab, der das schwache Einzelschiff mitleidlos umherschleudert,

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