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Größenwahn

Größenwahn

Titel: Größenwahn Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl Bleibtreu
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Auch eine Vorrede.
     
    Ich habe diesen Roman »pathologisch« genannt, ich hätte ihn auch »symbolisch« nennen können. Doch verschmähe ich es, mich über den inneren Gehalt desselben zu verbreiten. Die Ideen des Dichters sind keine blaßen Abstrakta des Philosophen, sie wollen sich selbst erklären wie lebende Wesen. Nur möchte ich vor einer Fußangel warnen: erst im letzten Schluß (Buch XIII, 3. Band) wird der wahre Sinn des Ganzen offenbar und man gewahrt vielleicht, daß man bis dahin in einem begreiflichen Irrthum schwebte. Diese Andeutung zu verstehen bleibt dem klugen Leser überlassen, nach Beendung der Gesammtlektüre.
    Natürlich tragen sämmtliche Gestalten dieser freierfundenen Dichtung lediglich ein typisches Gepräge, fern jeder persönlichen Modell-Abschreibung , die ja heut gewöhnlich bei allen realistischen Romanen von angeblich Eingeweihten herauspintisirt zu werden pflegt. Aus realistischer Lebensabspiegelung entsteht eben eine Wahrheit, wahrer als die Handgreiflichkeit der Außenwelt.
     
    Von der Umwälzung, welche die gesammte Denkweise der deutschen Geisteswelt innerlich umformte, ahnen unsere guten Leute und schlechten Musikanten nur wenig. Unter den zahlreichen Zuschriften, welche mich seit Jahren als Stimmen des eigentlichen Publikums ermuthigen, wähle ich eine Stelle aus einem jüngsthin empfangenen Briefe:
    »Was die Propheten dem alttestamentlichen Verheißungsvolk waren, das müssen uns unsre wahren Dichter sein. Wie es dort Lügenpropheten gab, giebt es auch bei uns Lügendichter. Alle Sensationsromanfabrikanten, alle sentimentalen Liederdrechsler, alle Verherrlicher der Sinnlichkeit d.h. der bloßen Erscheinungswelt, alle Blaustrümpfeleien mit ihrer übertünchten Alltagssittlichkeit – nenne ich Lügenpropheten. Nur wer im Ewigen webt und athmet, wem alle Erscheinungsformen nur Symbole sind , wer alles Sinnliche aufs Ewige bezieht und im Zeitlichen als solchem keinen Frieden findet, – nur dessen Weltauffassung ist eine dichterische . Eine ernste Kunst ist die Poesie, ernst und groß wie das Christenthum. Lang genug haben wir eine heidnisch-griechisch-antike Aesthetik und Poesie gehabt. Zeit ist's, daß wir endlich eine christlich-germanisch-moderne Dichtung bekommen. Der ›Realismus‹ ist nicht eine Partei, eine Schule – was der wahre Realismus will, ist ewig. Es ist ein totaler Umschwung in unsern bisherigen Anschauungen, der sich hier vorbereitet. Die antike Aesthetik mit ihrem ›schön‹ und ›häßlich‹ ist nichts; auf den ewigen Gesichtspunkt , von dem aus man alles auffaßt, kommt es an.«
    Das Denken allein führt eben so wenig zum Ziel, wie das Dichten allein, sondern erst die Verschmelzung beider Kräfte. Wer unzusammenhängende Beobachtungen anhäuft, wird nie zur Stoffbeherschung gelangen. Auch die Leidenschaften gehorchen gleichmäßigen Gesetzen.
     

Der Geist der Zukunft.
     
    Ich ahne, daß in meiner Tiefe ruhen
    Gedanken, wie die Welt sie nie geträumt.
    Ich ahne, daß allmächtig überschäumt
    Die Ueberkraft in meiner Seele Truhen.
     
    Doch scheidet sich das Denken weit vom Thuen
    Und meiner Pläne Heer die Walstatt räumt
    Und Corps an Corps auf seiner Lobau säumt,
    Bis es ins Marchfeld rückt auf Eisenschuhen.
     
    Dann, wenn die Erde Nacht und Schweigen decken
    Und Blitze zucken und die Donner grollen,
    Dann stoß ich vor auf Wagrams Leichenacker.
     
    Die Grüße meiner Feuerschlünde rollen,
    Als wollten sie die Todten auferwecken.
    »Wollt ihr denn ewig leben, feige Racker?«
     

Erstes Buch.
     
I.
    »Ja, heut ist in Calais Probeschießen mit den neuen Sprenggeschossen und dem neuen Gewehr!« erläuterte der würdige Hafenoffizial, und indem er ein prüfendes Auge auf Graf Xaver warf, der seinem Gepäckträger soeben ein überflüssig hohes Trinkgeld reichte, fügte er dienstbeflissen hinzu: »Die englischen Herren Offiziere brauchen sich blos beim Herrn Colonel zu melden, dann können sie die Revue in der Nähe besehn.«
    »So?« brummte Krastinik, während sein gleichgültiger Blick über das vorbeidefilierende reitende Artillerieregiment hinglitt. »Ich bin aber keiner.« Sein zweifelhaftes Englisch bürgte auch dafür. Der Beamte verbeugte sich. Sein Irrthum mochte für die oberflächliche Beobachtung eines Franzosen verzeihlich sein. Denn Graf Xaver Krastinik schien mit peinlicher Sorgfalt möglichst englisch gekleidet, von dem glänzenden breitkrämpigen Cylinder bis zu den hackenlosen knappanschließenden Schnürenschuhen. Aber

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