Große Tiere
(denn er war eher gnomenhaft und schwammig), sondern sein zu Ausbrüchen neigender Charakter, der Chelsea so nervös machte. Kingsbury hatte schon vor langer Zeit aufgehört, sich in vollständigen Sätzen zu äußern, doch seine bruchstückhaften Ausrufe konnten beleidigend und scharf sein. Die Worte trafen zielsicher Charles Chelseas Schwächen und Unsicherheiten und ließen ihn zittern.
Am Nachmittag des 17. Juli beendete Chelsea seine Mahlzeit und marschierte zügig in Kingsburys Büro. Kingsbury beugte sich über seinen Schreibtisch; die Hemdärmel des großen Mannes waren hochgekrempelt und entblößten die berüchtigte obszöne Tätowierung auf seinem teigigen linken Unterarm. Am anderen Arm funkelte eine goldene Robbie-Raccoon-Uhr mit Smaragden. Das heutige Surfer-Toupet war lang und lockig.
Kingsbury grunzte Charles Chelsea an und sagte: »Wildlife Rescue Corps?« Er hob eine Hand. »Also?«
Chelsea antwortete: »Es gibt diese Gruppe, doch der Anruf könnte ein Schwindel gewesen sein. Wir überprüfen das gerade.«
»Was ist das mit Ausbeutung – Scheiße, um was geht’s denn hier, um irgendein Nagetier oder was, verdammt noch mal.«
Nicht einmal annähernd ein zitierfähiger Satz, dachte Chelsea. Es war erstaunlich – der Mann drückte sich in überdrehten Satzfragmenten aus, die irgendwie trotzdem einen Sinn ergaben. Charles Chelsea wußte jederzeit genau, wovon Francis X. Kingsbury redete.
Der PR-Mann sagte: »Keine Sorge, Sir, wir haben die Situation unter Kontrolle. Wir sind auf alle Eventualitäten vorbereitet.«
Kingsbury ballte seine kleine Faust. »Schadensbegrenzung«, sagte er.
»Unser Spitzenmann«, antwortete Chelsea. »Er heißt Joe Winder, ein ausgebuffter Profi. Die Sache mit der Belohnung war seine Idee, Sir. AP hat das heute morgen über den Ticker gejagt.«
Kingsbury setzte sich. Er kratzte an der leuchtenden Spitze seiner dicken Nase herum. »Diese Tiere, gibt es noch eine Chance?«
Chelsea konnte spüren, wie eine eisige Feuchtigkeit sich mit tödlicher Zielstrebigkeit von seinen Achselhöhlen her ausbreitete. »Das ist unwahrscheinlich, Sir. Eine ist ganz sicher tot. Sie wurde von der Highway Patrol erschossen. Touristen haben das Tier irrtümlich für eine Ratte gehalten.«
»Schrecklich«, sagte Kingsbury.
»Für das andere Tier gilt das gleiche. Die Räuber warfen es in das Fenster eines Winnebago-Wohnwagens.«
Kingsbury musterte ihn unter dromedarhaften Augenlidern hervor. »Nein«, sagte er und atmete zischend aus. »Das ist ja… nein, lassen Sie’s.«
»Sie sollten es lieber wissen«, sagte Chelsea. »In dem Winnebago saßen Mitglieder einer kirchlichen Reisegruppe aus Boca Raton. Sie haben das arme Tier mit einem Golfschirm totgeschlagen. Und es dann von der Card-Sound-Brücke geworfen.«
So, dachte Chelsea. Er hatte es getan. Er hatte sich hingestellt und die schlechte Nachricht überbracht. Er hatte es getan wie ein Mann.
Francis X. Kingsbury verflocht seine Hände und sagte: »Wer weiß noch davon? Wer weiß, daß wir es wissen? Irgend jemand?«
»Sie meinen, ob es draußen bekannt ist? Nein.« Charles Chelsea hielt inne. »Na ja, vielleicht bis auf die Highway Patrol. Und das habe ich mit ein paar Freikarten geregelt.«
»Aber Zivilisten?«
»Nein, Sir. Niemand hat eine Ahnung, daß wir vom Tod der Wühlmäuse etwas wissen.«
»Schön«, sagte Francis X. Kingsbury. »Dann wird es Zeit, die Belohnung zu erhöhen.«
»Sir?«
»Eine Million Dollar. Eine Eins mit sechs Nullen, wenn ich mich nicht irre.«
Chelsea holte ein Notizbuch und einen goldenen Cross-Kugelschreiber hervor und fing an zu schreiben. »Also eine Million für die Wiederbeschaffung der vermißten Wühlmäuse. Eine sehr großzügige Geste.«
»Quatsch«, sagte Kingsbury. »Das ist reine Public Relations. Frisches Futter für die verdammte AP.«
»Aber Sie haben das Herz auf dem rechten Fleck.«
Kingsbury zeigte zur Tür. »Raus mit Ihnen«, sagte er. »Bevor mir schlecht wird.«
Wie viele enorm erfolgreiche Einwohner Floridas war Francis X. Kingsbury ein Zugereister. Er war in seinen besten Jahren und mit zunehmender Glatze in den Sunshine State umgezogen, allein und wurzellos und nicht im Traum daran denkend, daß er dort mal Multimillionär würde.
Und wie so viele Neueinwohner Floridas war Kingsbury ein Gauner auf der Flucht. Ehe er in Miami ankam, kannte man ihn unter seinem richtigen Namen Frankie King. Nicht Frank, sondern Frankie; seine Mutter hatte ihn nach dem Sänger
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