Grounded (German Edition)
nicht. Und ändern kann man es jetzt eh nicht mehr“, meinte Conny beschwichtigend.
Nathalie rollte mit den Augen und seufzte. Ihr Ärger war verflogen. „Der Auflauf schmeckt super, Mama.“
„Das glaube ich erst, wenn Mikey ihn bis heute Abend nicht wieder ausgekotzt hat.“
Jetzt lachte Nathalie sogar wieder. „Och, ihh. Mama, ich esse.“
„Was denn? Ist doch wahr.“
Das Referat hielt Nathalie anderthalb Wochen später tatsächlich. Obwohl Französisch nicht ihr stärkstes Fach war, lief der Vortrag ganz gut. Die Zensur auf dem Zeugnis belief sich letzten Endes auf eine, wenn auch knappe, Zwei.
*
Meine Lungen brannten. Ich war nie besonders sportlich gewesen, mir fehlte es sowohl an Kraft als auch an Ausdauer und im Gegensatz zu unserem übermotivierten Sportlehrer, der frisch von der Uni kam, hatte ich keinerlei „Freude an Bewegung“. Im Gegenteil; schnelles Rennen, konzentriertes Jagen eines Balles – das Alles hatte für mich nichts mit Freude oder Entspannung oder Wohlfühlen zu tun, sondern hauptsächlich mit Stress.
Ich hasste das Gefühl von schweißnassem Haar und warm-miefigen Klamotten, die an meinem Körper klebten. Ich hasste Seitenstechen und ich hasste den metallischen Geschmack beim Atmen, der sich unweigerlich einstellte, wenn man zu lange zu schnell lief. Ich hasste heiße, knallrote Wangen und Herzrasen. Kurzum: ich hasste Sport. Wäre Hardcore-Gaming ein Bestandteil des schulischen Sportunterrichtes gewesen, ich hätte Bestleistungen erzielt, so bekam ich in Sport nur mit Mühe eine Drei zustande. Jetzt in der Berufsschule machten wir meist nur anspruchslosen Kram wie Tischtennis, damit ließ sich noch halbwegs leben.
Erwähnte ich, dass ich Sport hasse?
Aber heute war mir all das egal. Ich bemerkte den Zustand nicht einmal, in den der länger und länger werdende Sprint meinen Körper versetzte, von den Atemschwierigkeiten abgesehen. Und auch von denen ließ ich mich nicht ablenken. Atmen hin oder her, es gab jetzt Dringenderes, Luft holen konnte ich später immer noch.
Es war komisch, doch das Einzige, an das ich immer und immer wieder denken musste, während ich einen Fuß vor den anderen setzte, war das Zähneputzen. Nun, was heißt ich dachte daran. Ich sah es vor mir, wie einen kleinen Film in meinem Kopf, nur dass ich mittendrin war und alles, was geschah, spüren konnte. Ihr Gewicht auf meinen Beinen, den Geruch ihres Nackens in meiner Nase.
Das erste Mal hatten wir es getan, als wir knapp drei Wochen zusammen waren. Es war das zweite oder dritte Mal, dass Nathalie mitten in der Schulwoche bei mir übernachtete. Wir hatten verschlafen, schlicht und ergreifend, weil ich vergessen hatte den Wecker zu stellen. Es war zwanzig vor acht und die Zeit drängte, also machten wir uns parallel fertig. Ich kleidete mich an, sie ging auf die Toilette. Dann huschte sie zu mir ins Zimmer um sich ihre Zahnbürste zu holen und ich folgte ihr zurück ins Bad. Synchron drückten wir eine kleine Portion der weißen Paste auf unsere Bürsten, dann setzte ich mich auf den Rand der Badewanne.
Nathalie hätte sich auf den heruntergeklappten Klodeckel setzen oder stehen können. Stattdessen setzte sie sich auf meinen Schoß. Sie steckte noch in ihren Schlafsachen; einem weißen Träger-Top und Boxershorts von mir. Ich lehnte meine Wange an ihren Rücken und meinen linken, nicht mit Putzen beschäftigten Arm um ihre Taille und schloss die Augen. Dieses Gefühl von Ruhe und Zusammensein war es, das ich immer und immer wieder, nachhallend, in meiner Brust spürte. Wahrscheinlich, weil dies wohl eine der friedlichsten und intensivsten Erinnerungen meines Lebens war. Und weil wir diesen friedlichen Moment seit jenem Tag fest in unsere allmorgendliche Aufsteh-Routine integriert hatten. Tausendmal hatten wir so unsere Zähne geputzt, meist morgens, oft auch am Abend. Der Gedanke daran breitete sich normalerweise in Form von wohliger Wärme, wie nach dem Genuss einer Tasse heißen Tees, von meinem Magen in den restlichen Körper aus. Heute fühlte es sich an, als hätte ich ein Glas Salzwasser geschluckt.
Nathalie.
Ich musste unverhofft anhalten.
Glücklich war ich nicht darüber.
Nach der achten Abzweigung folgten keine weiteren; ich befand mich vor einem Bürokomplex.
Es war eindeutig. Die Straße endete hier, es gab keine weiteren Abzweigungen. Die zehnte oder die fünfzehnte, hatte Tanja gesagt. Es ging nicht mal bis zur zehnten. Meine Wangen fühlten sich heiß an. Hätte ich am
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