Grounded (German Edition)
Die erste Helligkeit des Morgens kroch in Form von zittrigen, kleinen Spinnenbeinen aus Sonnenlicht durch die Vorhänge. Ich ließ mich davon nicht stören. Nicht heute.
Es war Sonntag und es gab keinen idealeren Zeitpunkt, um nach dem Blick auf die Uhr glückselig durchzuatmen, sich noch einmal umzudrehen und zwei Stunden weiterzuschlafen.
Nathalie neben mir blinzelte schlaftrunken und rieb sich gähnend die Augen. Ich schüttelte den Kopf um ihr zu signalisieren, dass an Aufstehen noch nicht einmal zu denken war. Sie schmiegte sich erleichtert zurück in die Bettwäsche und murmelte: „Glaubst du nicht auch, dass der Steward bisexuell ist?“
„Mhmm“, antwortete ich.
„Ja. Das Halstuch. Und das Hemd. Es passt alles zusammen.“
„Hmmm. Stimmt.“
Dann war sie wieder eingeschlafen.
Kurz bevor sie das Bewusstsein verlor oder wenn sie gerade wach wurde, gab Nathalie die seltsamsten Dinge von sich. Anfangs war mir diese kleine Marotte an ihr seltsam bis befremdlich vorgekommen, doch inzwischen amüsierte ich mich köstlich darüber. Vor allem, weil sie sich später in der Regel an nichts mehr erinnerte und sich wunderbar mit ihren unbewussten, dadaistischen Kommentaren aufziehen ließ.
Der morgendliche Frieden währte nicht halb so lang wie gehofft, denn meine Schwester Elena liebte nicht nur laute Heavy-Metal-Musik, sondern war auch noch eine Frühaufsteherin, der weder mein sonntägliches Bedürfnis nach ungestörtem Schlaf noch sonst irgendetwas heilig war. Pünktlich um halb zehn dröhnten schnarrende E-Gitarren aus ihrem Zimmer durch die gesamte Wohnung. Ell drehte ihre Anlage zwar lediglich auf die Hälfte der für sie ansonsten üblichen Lautstärke – ihre Form von Rücksicht – aber auch das reichte, um Nathalie, mich und vermutlich auch meinen Vater endgültig aus dem Schlaf zu reißen.
Nathalie gähnte, seufzte schicksalsergeben und streckte sich. „Sieh es so, bei mir zuhause hätte Mikey bereits spätestens vor zwei Stunden die Nacht beendet“, meinte sie tröstend beim Anblick meines frustrierten Morgenmuffel-Gesichts. „Und zusätzlich hättest du noch ein riesiges Plastik-Thermometer in den Mund geschoben bekommen und alle zwei Minuten die Frage ‚Hast du noch Fieber, mein Kätzchen?’ beantworten müssen.“
„Auch wieder wahr.“
Es hatte offensichtlich auch Vorteile, dass meine Schwester kein dreijähriges Kleinkind war, sondern lediglich ein pubertierender Teenager mit einer Vorliebe für laute Musik, die Farbe Schwarz und Gothic-Klamotten.
„Wenn du schon als Erste wach bist, könntest du auch einfach Brötchen holen gehen, anstatt hier diesen Lärm zu veranstalten“, hörte ich die verschlafene Stimme unseres Vaters auf dem Flur. Er tadelte Ell aus Prinzip, weil er auf dem Weg zum Bad an ihrem Zimmer vorbeikam.
„Hab ich schon. Stehen in der Küche“, flötete meine Schwester in liebreizendster Manier zurück.
Nathalie streckte sich erneut und stand dann langsam auf. „Na, wenn das so ist, gehe ich schon mal den Frühstückstisch decken.“ Sie schlurfte, nach wie vor im Nachthemd, aus dem Zimmer. Ich konnte es mir nicht verkneifen, ihr nachzusehen, um einen Blick auf ihre Oberschenkel zu werfen, die in dem kurzen Nachthemd einfach zum Anbeißen aussahen. Bedauerlich, dass wir den Morgen nicht noch ein, zwei Stunden ungestört in meinem Bett genießen konnten.
Während Dad das Bad blockierte und Nathalie die Küchenfee spielte, beschloss ich, mich zu Ell zu gesellen um meinen morgendlichen Frust in ein paar geschwisterlichen Gemeinheiten zu entladen.
„Na, Prinzessin? Du kriegst wohl nie genug von diesem Gedonner.“
„Ruhe auf den billigen Plätzen.“ Sie streckte mir die Zunge raus, als sie sich flüchtig zu mir umdrehte.
„Was hast du nur für eine Macke, Sonntag freiwillig derart früh aufzustehen?“
Elena saß auf ihrem Schreibtischstuhl und tippte an einer E-Mail. Ihre Finger huschten mit einer schwindelerregenden Schnelligkeit über die Tastatur, das Geräusch der angeschlagenen Tasten erinnerte mich an das Dauerfeuer eines Maschinengewehres.
„Morgenstund hat Gold im Mund.“
„Mein Gott, Ell. Kannst du nicht mal zu dieser unchristlichen Zeit deine Finger von deinem Internet-Scheiß lassen?“, pöbelte ich weiter.
Dann trat ich hinter sie und beäugte neugierig den Bildschirm. Ell surfte auf einer dieser Singlebörsen-Webseiten herum, eines ihrer großen Hobbys.
„Was heißt hier ‚unchristliche Zeit‘ ?“, motzte sie. „Ich bin
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