Gruppenbild mit Dame: Roman (German Edition)
man feststellt, daß ihre einzige berechnete erotische
Beziehung zu dem Mann bestand, den sie als Achtzehnjährige geheiratet hat; damals auch machte sie die einzige nachweisbare
hurenhafte Bemerkung, indem sie zu Leni sagte (es war im Jahr 1940): »Ich hab mir nen reichen Knopp geangelt, der unbedingt
mit mir vor den Traualtar will.« Margret liegt zur Zeit im Krankenhaus, in einer Isolierstation, sie ist auf schlimme Weise
wahrscheinlich unheilbar geschlechtskrank; sie bezeichnet sich selbst als »total hinüber« – ihr gesamter endokriner Haushalt
ist gestört; man kann nur durch eine Glasplatte geschützt mit ihr sprechen, und sie ist dankbar für jede mitgebrachte Schachtel
Zigaretten und jede kleine Portion Schnaps, und wäre es auch nur der kleinste im Handel erhältliche und mit dem billigsten
Schnaps nachgefüllte Flachmann. Margrets endokriner Haushalt ist so durcheinander, daß sie »sich nicht wundern würde, wenn
plötzlich statt Tränen Urin aus meinen Augen käme«. Sie ist für jede Art von Betäubungsmitteln dankbar, würde auch Opium,
Morphium, Haschisch annehmen.
Das Krankenhaus liegt vor der Stadt, im Grünen, ist bungalowartig angelegt. Um Zutritt zu Margret zu erlangen, mußte der Verf.
zu verschiedenen verwerflichen Mitteln greifen: Bestechung, Hochstapelei in Tateinheit mit Amtsanmaßung (er gab sich als Dozent
für Prostitutionssoziologie und -psychologie aus!).
Es muß hier als Vorschuß auf die Auskünfte über Margret hinzugefügt werden, daß sie »an sich« eine weit weniger sinnliche
Person ist als Leni; Margrets Verderben war nicht ihr eigenes Begehren nach Liebesfreuden, ihr Verderben war die Tatsache,
daß von ihr so viel Freuden begehrt wurden, die sie zu spenden von Natur begabt war; es wird darüber noch berichtet werden
müssen. Jedenfalls: Leni leidet, Margret leidet.
|15| »An sich« nicht leidend, nur leidend, weil Leni leidet, an der sie nun wirklich sehr hängt, ist eine eingangs schon erwähnte
weibliche Person namens Marja van Doorn, siebzig Jahre alt, ehemals Hausgehilfin bei Lenis Eltern, den Gruytens; sie lebt
nun zurückgezogen auf dem Land, wo eine Invalidenrente, ein Gemüsegarten, einige Obstbäume, ein Dutzend Hühner und der Anteil
an je einem halben Schwein und Kalb, an deren Mästung sie sich beteiligt, ihr einen halbwegs angenehmen Lebensabend sichern.
Marja ist mit Leni nur durch dünn gegangen, Bedenken hatte sie nur, als es »gar zu dick kam«, keine – wie ausdrücklich festgestellt
werden muß – moralischen, überraschenderweise – nationale Bedenken. Marja ist eine Frau, die wahrscheinlich noch vor fünfzehn
oder zwanzig Jahren »das Herz auf dem rechten Fleck« gehabt hat; inzwischen ist dieses überschätzte Organ ihr anderswo hingerutscht,
falls es überhaupt noch da ist; bestimmt nicht »in die Hose«, feige ist sie nie gewesen; entsetzt ist sie darüber, wie man
es mit ihrer Leni treibt, die sie nun tatsächlich gut kennt, gewiß besser als der Mann, dessen Namen Leni trägt, sie gekannt
hat. Immerhin hat Marja van Doorn von 1920 bis 1960 im Hause Gruyten gelebt, sie hat Lenis Geburt erlebt, an allen ihren Abenteuern,
an ihrem gesamten Schicksal teilgenommen; sie ist drauf und dran, wieder zu Leni zurückzuziehen, legt aber vorläufig noch
ihre gesamte (und recht erhebliche) Energie in den Plan, Leni zu sich aufs Land zu holen. Sie ist entsetzt über das, was Leni
widerfährt und ihr angedroht wird, ist sogar bereit, gewisse historische Greuel, die sie bisher nicht gerade für unmöglich
gehalten, in ihrer Quantität aber angezweifelt hat, zu glauben.
Eine Sonderstellung unter den Auskunftspersonen nimmt der Musikkritiker Dr. Herweg Schirtenstein ein; er wohnt seit vierzig
Jahren im hinteren Teil einer Wohnung |16| , die vor achtzig Jahren einmal als feudal gegolten hätte, nach dem Ersten Weltkrieg aber schon an Rang verlor, geteilt wurde;
seine Wohnung im Parterre eines Hauses, das mit seinem hofwärts gelegenen Teil an den hofwärts gelegenen Teil von Lenis Wohnung
grenzt, hat es ihm möglich gemacht, Lenis Übungen und Fortschritte und später partielle Meisterschaft auf dem Klavier über
Jahrzehnte hin sorgfältig zu verfolgen, ohne daß er je erfahren hätte, daß es Leni ist, die da spielt; er kennt zwar Leni
von Ansehen, begegnet ihr seit vierzig Jahren gelegentlich auf der Straße (es ist sogar durchaus wahrscheinlich, daß er Leni,
als sie noch Hüpfen spielte,
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