Gullivers Reisen
weil wir wußten, das Schiff sey durch ihn gesünder und werde die See besser aushalten. Wir befanden uns nämlich auf hohem Meer und hatten von Klippen Nichts zu befürchten. Als der Sturm vorüber war, spannten wir Fok- und Boomsegel wieder auf und gaben dem Schiff eine Richtung; alsdann zogen wir das Marsboomsegel und das Fokmarssegel auf. Unsere Richtung war Ost-Nord-Ost und der Wind Südwest. Hierauf hefteten wir die Steuerbordstiften wieder ein und nahmen die Hebeseile fort, kurz wir setzten das Schiff wieder in den früheren Stand.
Während dieses Sturmes, dem ein starker Wind aus West-Süd-West folgte, wurden wir, nach meiner Berechnung, ungefähr zweihundert und fünfzig Stunden nach Osten verschlagen, so daß der älteste Matrose an Bord nicht sagen konnte, in welchem Theile der Welt wir uns befänden. Unsere Vorräthe hielten aus, das Schiff war trefflich und fest und unsere Mannschaft vollkommen gesund; wir litten aber bedeutenden Mangel an Trinkwasser. Somit hielten wir es für das Zweckmäßigste, dieselbe Richtung beizubehalten, und uns nicht nach Norden zu wenden, da wir in letzterer Richtung nordwestlich von der großen Tartarei in das Eismeer hätten gelangen können.
Am 16. Juni 1703 entdeckte ein Schiffsjunge auf dem Hauptmast Land. Am 17. sahen wir deutlich eine große Insel oder ein Festland (wir waren hierüber in Ungewißheit); an der südlichen Seite des Landes entdeckten wir eine kleine in die See hervorspringende Landzunge und eine Bucht, die aber zu flach war, um ein Schiff von mehr als hundert Tonnen zu tragen. Wir warfen deßhalb in einiger Entfernung von der Landzunge Anker und unser Kapitän ließ ungefähr ein Dutzend seiner Leute, bewaffnet und mit Wassergeschirren versehen, in dem langen Boote aussetzen, um Wasser aufzusuchen, wenn dasselbe gefunden werden könne. Ich erwirkte mir die Erlaubniß, an dieser Ausschiffung Theil zu nehmen, damit ich das Land untersuche und Entdeckungen mache. Als wir das Ufer betraten, erblickten wir weder Flüsse noch Quellen, noch auch irgend eine Spur von Einwohnern.
Unsere Leute gingen deßhalb am Ufer entlang, um frisches Wasser in der Nähe des Meeres aufzusuchen; ich aber schlug ungefähr eine halbe Stunde lang die entgegengesetzte Richtung ein; da ich aber nur felsiges und unfruchtbares Land erblickte, ward ich des Nachforschens müde und kehrte zur Landzunge zurück. Als sich nun die See vor meinen Augen ausdehnte, sah ich, wie unsere Leute bereits im Boote waren und so schnell als müßten sie ihr Leben retten, zum Schiffe ruderten. Ich wollte ihnen zurufen, obgleich dies mir wenig helfen konnte, als ich ein ungeheures Geschöpf hinter sie herlaufen sah; die See reichte ihm nur bis an die Knie und es machte ungeheure Schritte. Allein unsere Leute hatten eine Viertelstunde Vorsprung, die See war dort voll scharfer Klippen, und somit konnte das Ungeheuer unser Boot nicht erreichen. Dies wurde mir nachher gesagt, denn ich legte im schnellsten Laufe den Weg, den ich bereits gemacht hatte, wieder zurück und erstieg alsdann einen steilen Hügel, der mir eine Aussicht in das Land gewährte. Es war vollkommen bebaut. Zuerst erstaunte ich über die Länge des Grases, welches dort zum Heu bestimmt war, denn seine Höhe betrug an die zwanzig Fuß.
Alsdann gerieth ich auf einen Weg, den ich für eine Heerstraße hielt, der jedoch den Einwohnern nur als Fußpfad durch ein Gerstenfeld diente. Hier ging ich einige Zeit lang weiter, konnte aber an beiden Seiten nichts erblicken, denn die Erndte war nah und das Korn wenigstens vierzig Fuß hoch. Nach einer Stunde hatte ich das Ende des Feldes erreicht, welches durch eine Hecke von wenigstens hundertundzwanzig Fuß Höhe umzäunt war, deren Bäume eine solche Größe hatten, daß ich dieselbe nicht berechnen konnte. Dort befand sich eine Treppe, die in das nächste Feld führte. Sie bestand aus vier Stufen und auf der Spitze war ein Stein zu überschreiten. Es war mir unmöglich diese Treppe zu ersteigen, denn jede Stufe betrug sechs Fuß Höhe und der Stein wenigstens zwanzig. Ich suchte deßhalb eine Oeffnung in der Hecke zu erspähen, als ich auf dem nächsten Felde einen Einwohner auf die Treppe zugehen sah, und zwar von der Größe desjenigen, welcher unser Boot verfolgt hatte. Er hatte die Höhe eines gewöhnlichen Kirchthurms, und legte, so weit ich errathen konnte, wenigstens zehn Ellen mit jedem Schritte zurück. Ich gerieth in Furcht und Erstaunen und lief fort, um mich im Korne zu verbergen.
Weitere Kostenlose Bücher