Gun Machine
mich vor dem Inhalt des Kofferraums fürchte. «
Dass Scarly neben ihm auf dem Beifahrersitz saß, kam Tallow fast so merkwürdig vor, wie selbst hinterm Steuer zu sitzen. Es war ein unwirkliches Gefühl, immer noch. » Wer waren die Collyer-Brüder? « , fragte sie.
» Langley und Homer Collyer, zwei Einsiedler im Harlem der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Haben am hinterletzten Ende der Fifth Avenue gewohnt. « Tallow suchte sich einen Weg raus aus dem One PP . » Die ganze Familie war etwas schrullig. Der Vater paddelte immer im Kanu zur Arbeit, den East River runter nach Roosevelt Island. Um 1925 herum verschwand Daddy und Mommy starb, und so erbten die beiden Brüder das Haus. Die Nachbarn hielten sie für reiche Exzentriker und fingen an, sich im Haus umzugucken. Sie schnüffelten rum, vielleicht brachen sie auch mal ein Fenster auf. Aber in Wirklichkeit hatten die Collyers nicht mal einen Topf zum Reinpissen, und darüber hinaus waren sie von vornherein ein bisschen wahnsinnig. Deshalb nagelten sie die Fenster zu, legten Fußangeln aus und gingen nur noch nachts raus. Sie schlichen sich auf die Straße, schauten sich nach Sachen um, die nützlich oder interessant wirkten oder vielleicht zu einer Falle oder einer Waffe umgebaut werden könnten, und schleppten alles nach Hause. Daran hat mich Ihr Büro frappierend erinnert. Nur dass Sie sich das Zeug lie fern lassen. «
» Damit hauen Sie sich also den Wagen voll? « , fragte Bat, der zusammengefaltet auf der Rückbank kauerte wie die hässlichste Origami-Skulptur der Welt. » Mit abseitiger Stadtgeschichte? Wobei, eigentlich klingt das doch ganz nett. Ist doch toll, den ganzen Tag irgendwelches Zeug zu sammeln. «
Tallow antwortete mit einem kurzen, trockenen Lachen. » Im Jahr 1947 wurde der gesamte Block plötzlich von einem widerlichen Gestank überflutet, und nur die Collyers standen nicht auf der Straße und jammerten. Irgendwann gingen die Leute rein– und stellten fest, dass die Collyers jedes bisschen Müll, das die letzten zwanzig Jahre über in dem Block abgeladen wurde, aufgeklaubt und eingelagert hatten. Hundertdreißig Tonnen Müll. Fünfundzwanzigtausend Bücher, vierzehn Klaviere, ein beinahe vollständiges Auto, ein paar Stückchen Mensch, unzählige Zeitungen und Schachteln. Man konnte sich nur noch durch Tunnel und Schächte durchs Haus bewegen. Homer Collyer war an einem Herzinfarkt gestorben, der durch Hunger ausgelöst wurde. Die Augen waren ihm schon vor fünfzehn Jahren rausgeblutet, und er war von Kopf bis Fuß gelähmt, weil sein Rheuma nie behandelt wurde. Langley Collyer fanden sie in einem Tunnel. Offenbar hatte er Homer etwas zu essen bringen wollen, als er in eine seiner eigenen Fallen getappt und von einem vollgepackten Koffer und drei riesigen Zeitungsballen erschlagen worden war. Er war schuld an dem Gestank. Der blinde alte Homer hatte eine Woche länger durchgehalten. «
» Und sich wahrscheinlich die ganze Zeit über gefragt, wo sein Bruder mit dem Mittagessen abgeblieben war « , fügte Scarly hinzu. » Deshalb sollte man immer kurz durchrufen, wenn man als Sandwichlieferant Umwege nimmt, John. «
» Ein paar Stückchen Mensch? « , fragte Bat.
» Eingeweckte menschliche Organe und so. Ihr Vater war Arzt, aber der hat sich mehr mit Geburtshilfe beschäftigt. Das waren also nicht nur Erbstücke. Ach ja, und dann war da noch das riesige Waffen- und Munitionslager. Am Schluss mussten sie das ganze Haus plattmachen. «
Bat versuchte, die Knie unter dem Kinn hervorzubugsieren. » So ähnlich dürfte es in der Zweitwohnung unseres Täters aussehen. «
» Was? «
» Na, in der 3A hat er doch nicht gepennt, oder? Und auf der Straße pennt der bestimmt nicht. Er muss ein zweites Apartment haben, und wenn wir es finden, ist es sicher voller Patronengürtel und Zeitungsausschnitte und so weiter. Der Typ hat Ahnung von Waffen und ist mindestens in der Lage, Recherchen anzustellen. Sonst hätte er das mit Rochester nie rausgefunden. Ach was, sonst hätte er noch nicht mal von Son of Sam gehört. «
» Und das Indianerding? « , warf Scarly ein.
» Tut nichts zur Sache « , erwiderte Bat. » Selbst wenn er sich für Geronimo persönlich hält, er verschließt die Augen nicht zu hundert Prozent vor der Realität. Dafür funktioniert das Arschloch viel zu gut. Sogar der Mann, der seine Frau mit einem Hut verwechselte, wusste noch, wo oben und unten war. Kann sein, dass unser Täter haarscharf davor ist, richtig
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