Gut geplant ist halb verloren
kaufen.
15 Uhr 19
Feststellung: Geschäfte haben seit 13 Uhr geschlossen.
15 Uhr 20
Stehe apathisch in der Küche und versuche, Fleisch zu schneiden. Kinder kommen und fragen, wann es Geschenke gibt.
Decke den Tisch und betrachte ein Bratenmesser. Die Klinge ist ganz schön scharf.
Der Heilige Abend ist ein guter Tag, um zu sterben. Niemand wird das Datum jemals vergessen. (»Was, sie hat sich umgebracht? Wann?« – »An Heiligabend!« – »Warum?« – »Ach, ist doch egal.« – »Stimmt.« – »Bis dann!« – »Ja, bis dann!«)
16 Uhr 00
In einer Stunde kommen die Gäste. Und kein gefüllter Gabentisch weit und breit.
16 Uhr 30
Alles fertig. Bis auf die Geschenke. Die hab ich nicht. Ich könnte leere Schuhkartons in Geschenkpapier wickeln und dann behaupten, es sei die Schuld der Verkäuferinnen, dass nichts drin ist.
16 Uhr 31
Doofe Idee.
16 Uhr 45
Ich bin eine Versagerin.
17 Uhr 10
Gäste sind alle da. Habe nicht an ausreichend Stühle gedacht. Aber mein Mann, der hat sie vom Nachbarn geholt. Wenigstens etwas. Wenigstens an bekloppte Stühle hat er gedacht.
17 Uhr 20
Stehe in der Küche und hyperventiliere, weil Tante Lieselotte gesagt hat, aus der Tischdecke seien ja wohl die Rotweinflecken vom letzten Jahr nicht rausgegangen. Dann hat sie Tante Gertrud angeschaut und den Kopf geschüttelt. Darauf hat Tante Gertrud gesagt: »Zu meiner Zeit hätte es das nicht gegeben. Als mein seliger Heiner noch lebte, das waren noch Weihnachten. Da gab es keine Flecken auf Tischdecken.«
Tante Irmi verkündete: »Was geht sie auch arbeiten? Eine Frau gehört ins Haus und nirgendwo sonst hin.« Woraufhin mein dreivierteltauber Großonkel Melchior nickte und brüllte: »Jawoll ja!«, während er sich den zehnten Schnaps hinter die Binde kippte.
17 Uhr 21
Ich halte das nicht aus. Ich hasse Weihnachten! Ich will alleine sein. Ganz allein. Ich bereue mein ganzes Leben. Als Singlefrau könnte ich jetzt gemütlich in meinem Einzimmerappartement sitzen und Chips essen oder ein Glas Buttermilch trinken, und niemand, niemand würde etwas von mir wollen.
Aber wer sorgt dann für mich im Alter? Ich werde mich bei der BfA erkundigen, wie das mit meiner Rentenberechnung aussieht. Gleich nächste Woche. Und dann geht alles ruck, zuck: So eine Scheidung ist schnell erledigt, die Kinder kommen zu Pflegeeltern oder werden für den Rest ihres Lebens in Sprachferien zu Gastfamilien geschickt. Dass ich darauf nicht schon viel viel früher gekommen bin!
17 Uhr 22
Ich bin plötzlich ganz stark. Der Beschluss steht: Ich gehe! Sollen die doch machen, was sie wollen. Ohne mich.
Ohne mich
. Ziehe meine Jacke an und schleiche mich raus.
17 Uhr 24
Da ist eine Bank. Erst mal setzen. Kriege nie was auf die Reihe. Uuuuuh.
17 Uhr 34
Näher kommende Schritte. Ist mein Mann.
17 Uhr 35
Er ist ganz lieb und fragt, ob ich nicht wieder reinkommen möchte. Die Bescherung solle bald beginnen. Bescherung ohne Geschenke? Superlustig.
17 Uhr 36
Mann sagt: »Keine Sorge, ich hab an die ganzen Geschenke gedacht.«
Stellt sich raus, dass er auch in der Stadt war und alles besorgt hat, weil ich es vergessen würde. So wie ich auch vergessen hätte, dass das eigentlich immer so ist.
17 Uhr 37
Mein Mann sagt: »Wie jedes Jahr.«
17 Uhr 38
Ja. Wie jedes Jahr.
17 Uhr 40
Hake mich unter und gehe mit Mann zum Haus zurück. Schön sieht es aus, mit den Lichterketten an den Bäumen und den Fenstern. Wie jedes Jahr.
17 Uhr 45
Betrete unser Haus. Drinnen läuft Weihnachtsmusik, und es riecht nach leckerem Essen. Wie jedes Jahr. Traditionen sollte man nicht brechen, sondern pflegen.
Und deswegen werde ich auch im nächsten Jahr alles so machen wie in diesem Jahr.
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Ein Unternehmen der Verlagsgruppe Droemer Knaur GmbH & Co. KG, München. © der Originalausgabe: Copyright Knaur TB 2012, München
Alle Rechte vorbehalten. Das Werk darf - auch teilweise - nur mit Genehmigung des Verlages wiedergegeben werden.
Covergestaltung: ZERO Werbeagentur, München
Covermotiv: © FinePic®, München
ISBN13: 978-3-8476-0336-8
Tag der Veröffentlichung: 09.10.2012
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