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Gute Nacht Zuckerpüppchen

Gute Nacht Zuckerpüppchen

Titel: Gute Nacht Zuckerpüppchen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heide Glade-Hassenmüller
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täte ihm leid. Aber Achim schwieg und preßte nur die Lippen aufeinander.
    »Dir treib ich das aus, mein Bürschchen«, hatte Pappi gesagt, gar nicht laut, aber es klang schrecklich, wie ein Blitz ohne Donner.
    »Hosen runter«, hatte er Achim befohlen, und als der nicht gleich begriff: »Los, leg dich über den Tisch und runter mit der Bux!« Gaby hatte entsetzt ihre Hand vor den Mund gelegt, und Pappi hatte ihr zugeblinzelt: »Da siehst du, Zuckerpüppchen, was mit bösen Jungen passiert. Jungens, die stehlen, wie der feine Herr hier.« Dabei hatte Pappi seinen Ledergürtel aus der Hose gezogen. Nach dem Aufklatschen des ersten Schlages war Gaby aus der Küche gelaufen. Wenn es doch endlich aufhören würde!
    Natürlich hatte Pappi recht, man durfte nicht stehlen, aber Achim sagte, er habe das Portemonnaie gefunden, und mehr Geld als die zwanzig Mark wären auch nicht darin gewesen.
    Früher hatte Achim nie gelogen. Im Luftschutzbunker hatte er ihr stundenlang Geschichten erzählt, so gruselige, daß sie mehr Angst vor den unheimlichen Zwergen der Unterwelt als vor den pfeifenden Bomben hatte.
    »Der lügt wie gedruckt«, behauptete Pappi. »Und wer lügt, der stiehlt auch.« Wenn Mutti Achim in Schutz nahm, wurde Pappi schrecklich böse und kniff seine Augen zu zwei kleinen Schlitzen zusammen: »Den Ferdi siehst du in ihm, das ist es. Aber er ähnelt ihm nur äußerlich. Der Ferdi, das war ein anderer Kerl. Der würde sich im Grab umdrehen, wenn er wüßte, was für eine Memme aus seinem Sohn geworden ist.«
    »Von Ferdi gibt es kein Grab«, sagte Mutti leise und weiter nichts mehr. Nur wenn Pappi nicht dabei war, streichelte sie Achim und drückte ihn: »Du bist doch mein Bester, mein großer, vernünftiger Junge.«
    Gaby war dann ein wenig traurig, aber schließlich war sie Pappis Zuckerpüppchen, und daß Achim ihr keine Geschichten mehr erzählte, war auch nicht weiter schlimm, sie konnte jetzt selber lesen.
    Seit einem Monat ging sie zur Schule. Die katholischen Schwestern der Liebfrauenkirche waren sehr nett. Gaby durfte immer vorlesen und an die Tafel schreiben, während Schwester Agnes in ihrem Brevier las.
    »Ein begabtes Kind, die kleine Gabriele«, hatte Schwester Agnes zu Mutti gesagt, als sie Gaby wegen eines Arztbesuches früher von der Schule abholte. »Der Segen des Herrn ruht auf dem Kind.«
    »Ja.« Mutti nickte. »Nur ihre Gesundheit! Die vielen Bombennächte im Luftschutzkeller haben sie sehr angegriffen.«
    »Wen der Herr liebt, den prüft er!« Schwester Agnes strich Gaby über die Haare, und Gaby fühlte sich sehr wichtig. Muttis Nasenflügel bebten, und das war ein Zeichen, daß Mutti sich über etwas ärgerte. Gaby zog Mutti am Ärmel. Mutti lächelte auf sie herab. »Ja, Mäuschen, wir gehen.« Gaby war selig. Mutti sagte nicht oft Mäuschen, aber es klang fast genauso schön wie >nein Bester< oder >mein Großer<.

    Bei dem Arzt mußte sie erst in ein Töpfchen Pipi machen. Eigentlich war sie dafür viel zu groß, doch Mutti erklärte ihr, daß der Arzt das Pipi untersuchen mußte. Und dann war sie stolz, daß sie gleich konnte, während das Mädchen mit den dicken, blonden Zöpfen neben ihr sich schrecklich genierte und nicht konnte. »Sieh doch mal die Kleine, die strullert auch gleich«, sagte die Mutter des anderen Mädchens und sah ihre eigene Tochter strafend an.
    Sogar bei der Spritze, mit der die Schwester Blut aus ihrem Arm zog, weinte Gaby nicht. Sie wollte, daß Mutti sie lobte, und Mutti sagte: »Du bist ein tapferes Mädchen.«

    Mittags mußte Gaby sich jetzt immer hinlegen. Das hatte der Arzt gesagt. »Bis wir Gewißheit haben, Frau Malsch, das Kind braucht Ruhe.«
    »Für Mittagsschlaf bin ich zu groß«, maulte Gaby.
    »Du sollst auch nicht schlafen, ruhen sollst du, hat der Herr Doktor gesagt«, meinte Mutti.
    Das war sehr langweilig, weil Gaby nichts anderes durfte als ruhen. Gaby zählte die verblichenen Röschen auf der Tapete und stellte sich vor, wie es wäre, wenn die kleinen Entenkinder auf dem Bild über dem Tisch plötzlich richtig schwimmen könnten.
    Dann hatte Pappi einen Schnupfen und blieb auch zu Hause. Nach dem Essen legte er sich auf das Sofa, während Mutti in der anderen Ecke der Küche das Geschirr ab wusch.
    »Darf ich bei dir ruhen?« bettelte Gaby. Vielleicht würde Pappi ihr dann eine Geschichte erzählen.
    »Meinetwegen, Zuckerpüppchen«, sagte Pappi und lüftete ein wenig die Wolldecke an. Gaby kroch zu ihm und schmiegte sich an ihn.
    Dann war

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