Gute Nacht Zuckerpüppchen
Ferdi, das war ein richtiger Kerl, der hat immer seinen Mann gestanden.«
»Ja«, sagte Mutti, »deswegen ist er auch tot.«
Achim sagte nichts, er redete überhaupt sehr wenig, seit Onkel Anton bei ihnen war. Er wusch sich eiskalt, schleppte die Kohlen hoch und machte die von Onkel Anton verlangten Turnübungen.
Zu Gaby war Onkel Anton sehr lieb.
»Was für ein zartes Zuckerpüppchen«, sagte er. »Das ganze Gesicht besteht nur aus Augen.«
Eigenhändig füllte er warmes Wasser in ihre Waschschüssel. »Mein kleines Engelchen«, flüsterte er. »Du bist etwas ganz Besonderes«, und er küßte sie. Gaby hörte das gerne und fühlte sich wie eine Prinzessin in Achims Märchen. Sie mochte Onkel Anton sehr gerne, und sie war froh, daß sie keine Muskeln bekommen mußte. Onkel Anton erklärte ihr, einen richtigen Jungen müsse man beizeiten hart anpacken, sonst würde er nie ein Mann. Und er mußte es ja wissen, schließlich war Onkel Anton ein Mann.
Im Mai heiratete Mutti Onkel Anton. Das ging nicht anders. Nachbarn hatten sich über Muttis unmoralisches Verhalten beschwert. Sie lebte mit einem Mann zusammen in einem Zimmer, und schließlich hatte sie zwei kleine Kinder. Vom Vormundschaftsgericht kam ein Beamter und machte ihr heftige Vorwürfe: »In einem Zimmer mit Herrn Malsch, und nebenan schlafen Ihre Kinder.«
Mutti protestierte: »Wir haben doch kein extra Zimmer. Und in der Küche geht es auch nicht wegen Frau Brinkjewski.«
»Damit habe ich nichts zu tun«, sagte der Mann von der Behörde und drehte unwillig die Spitze seines Bartes. »Denken Sie an die Moral Ihrer Kinder. Und Ihre Witwenrente wird auch gekürzt werden. Sie leben in wilder Ehe mit diesem Mann. Ich muß das weitergeben.«
Onkel Anton nahm Mutti in die Arme. »Jetzt wird geheiratet. Der Ferdi hat sowieso zu mir gesagt: Anton, wenn was ist, kümmere dich um Hetty und die Kinder. Das ist meine Pflicht und Schuldigkeit als Ferdis Kamerad.«
Gaby fand das sehr nett von Onkel Anton, und auch Mutti war erleichtert, daß alles wieder seine Ordnung haben sollte. Nur Achim sagte abends zu Gaby: »Der weiß doch sonst nicht wohin. Hier legt er sich ins gemachte Bett.«
»Das Bett hat Onkel Anton selbst besorgt«, widersprach Gaby. »Es hat ihn ein Stange Zigaretten gekostet.«
Mutti nähte Gaby ein neues Kleid. Den Stoff hatte sie auf dem schwarzen Markt getauscht. Auf dem schwarzen Markt konnte man alles bekommen, von ledernen Schuhen bis hin zu Uhren, Kleidern und Mänteln. Wenn man Zigaretten, Kaffee oder Butter hatte, gab es nichts, das es nicht gab.
Auf Gabys Kleid blühten viele bunte Stiefmütterchen. So etwas Schönes hatte Gaby noch nie gesehen. Sie sahen so echt aus, daß Gaby meinte, sie müßten auch duften. Und tatsächlich roch der Stoff ganz lieblich. »Ein Parfüm«, erklärte Mutti ihr. »Der Stoff hat bestimmt einer vornehmen Dame gehört.«
Auch Achim bekam eine neue Hose aus einem gewendeten Wehrmachtsmantel.
»Die kratzt«, sagte Achim und wollte sie nicht anziehen.
Bevor Onkel Anton richtig wütend werden konnte, gab Mutti Achim eine dünne Schlafanzughose. »Zieh die darunter an, dann merkst du das Kratzen nicht.«
Deswegen hatte Achim den ganzen Tag über Schweißtropfen auf der Stirn, denn es war ein sonniger Maientag, als Mutti Onkel Anton ihr Jawort gab.
Nach der Trauung auf dem Standesamt ging es zurück in die Hollunderstraße. Frau Weitgaß hatte ein Festmahl vorbereitet. Die Zutaten kamen von Onkel Anton, der beim Ami im Lager arbeitete und dort alles besorgen konnte.
»Ein Posten, nach dem sich viele alle zehn Finger abschlecken würden«, hatte er Mutti erklärt, die nicht so viel mit den Amis im Sinn hatte. Doch gegen Corned beef, Butter, Weißbrot und Milchpuder hatte Mutti kein Argument und nur genickt.
Nach dem Essen stand Onkel Anton auf und hob sein Glas mit richtigem Sekt darin. »Ich trinke auf meinen seligen Kameraden, für dessen Frau und Kinder ich gut sorgen will, und natürlich auf meine geliebte Hetty.«
Oma Brinkjewski schneuzte sich gerührt, und Frau Weitgaß nickte. »Es muß alles seine Richtigkeit haben.«
Onkel Anton wandte sich direkt an Achim und Gaby: »Von heute an bin ich euer Vater. Sagt also jetzt Vati oder Pappi, ganz wie ihr wollt. Der Onkel Anton gehört der Vergangenheit an.«
2
Gaby war aus dem Zimmer gelaufen und saß auf dem geschlossenen Klodeckel, die Beine angezogen, ihren Kopf in ihren Armen vergraben.
Wenn Achim doch weinen und zu Pappi sagen würde, es
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