Guten Abend, Gute Nacht
angezogen. Ich vergewisserte mich, daß ich Murphys Zettel eingesteckt hatte und ging die Treppe runter zur Straße.
Ich überquerte die Tremont und schob mich seitlich an dem Gedrängel der Bundes- und Staatsbeamten vorbei, die den Angestellten aller anderen Büros zur U-Bahn zuvorkamen. Nachdem ich die U-Bahnstation hinter mir gelassen hatte, erstreckte sich der Common grün vor mir. Ich machte mich auf den Heimweg.
Der Fall, der zur Zerstörung meiner alten Wohnung führte, hatte mich ins Krankenhaus befördert. Als ich entlassen wurde, schlug ein Freund vor, ich sollte seine Schwester anrufen. Die Schwester, eine Ärztin, ging für zwei Jahre beruflich nach Chicago und brauchte einen Mieter für ihre Eigentumswohnung in Back Bay. Glücklicherweise hatte mir der Fall auch einen ordentlichen Batzen Geld eingebracht. Damit plus dem Geld von der Feuerversicherung konnte ich mir sowohl die Miete für die Eigentumswohnung als auch für das Büro leisten. Zeit konnte ich mir jetzt auch leisten. Zeit, an Nancy Meagher zu denken.
Nancy war Assistant District Attorney des Suffolk County, was eigentlich Boston bedeutete. Außerdem war sie die erste Frau, der ich mich nahe fühlte, für die ich überhaupt etwas empfand, seit meine Frau Beth an Krebs gestorben war.
An der Charles Street nahm ich die Verlängerung der Commonwealth Avenue durch den Public Garden. Der Common ist zum Ballspielen und Herumtoben mit Hunden da. Der Garden für Bootsfahrten und Spaziergänge von Verliebten. Nancy und ich waren bislang nicht im Garden spazierengegangen. Ich hoffte, wir würden noch. Aber zuerst mußte sie mich anrufen. Im Krankenhaus hatte sie gesagt, sie brauche ebenfalls Zeit zum Nachdenken. Zeit, darüber nachzudenken, daß sie einen Mann getötet hatte.
Ich ging zwei Querstraßen die Commonwealth hoch, dann weitere zwei die Marlborough rauf und schließlich durch die Beacon Street einen letzten Block bis zur Fairfield. Falls es eine bessere Methode des Pendelns zwischen Wohnung und Arbeitsplatz gibt, als zu Fuß zu gehen, kann ich sie mir zumindest nicht vorstellen.
Die Eigentumswohnung ist eine von acht Wohneinheiten in einem alten Sandsteingebäude an einer Straßenecke. Sie liegt nach hinten hinaus auf der ersten Etage. Südlage. Das Wohnzimmer besitzt sieben Buntglasfenster an der Südwand und einen offenen Kamin mit glänzend polierter Eichenverkleidung an der Ostwand. Luftig und mit hohen Decken ist es die netteste Wohnung, in der ich je allein gelebt habe.
Ich zog mein Sakko aus und warf einen kurzen Blick auf den neuen Anrufbeantworter. Die leuchtende grüne »0« bedeutete: Keine Nachrichten.
Nachdem ich Murphys Zettel aus der Tasche gefischt hatte, versuchte ich, Willa Daniels zu Hause und auf der Arbeit zu erreichen. Beides erfolglos.
Ich warf ein Steak auf den Grill und holte eine halbvolle Flasche Cabernet Sauvignon aus dem Kühlschrank, um den Wein wieder auf Zimmertemperatur zu bringen. Während das Abendessen vor sich hinbrutzelte, trank ich Eiswasser mit einem Stückchen Limone und las den größten Teil der New York Times, die ich zwar morgens bekam, normalerweise aber erst abends las.
Nach dem Essen erwischte ich Mrs. Daniels zu Hause. Sie fragte, ob ich sofort kommen könnte. Sie gab mir eine Adresse in Roxbury und eine genaue Wegbeschreibung. Ich sagte, ich wäre in einer halben Stunde bei ihr.
Normalerweise trage ich eine Kanone über der rechten Po-backe, aber an diesem Abend schnallte ich das Ding ab und entschied mich statt dessen für das Schulterhalfter mit einer Smith & Wesson Chief’s Special, die dann links vorne saß. Erst letzte Woche war ein Wagen mit mehreren Weißen an einer Ampel in Roxbury mit Steinen bombardiert worden, und falls nötig, wollte ich schnell ziehen können.
Ich folgte der Tremont Street tief ins Herz von Roxbury, bog zweimal rechts und einmal links bis zur Millrose Street ab. Im Block der Daniels’ gab es vier wunderbar gepflegte Häuser, drei ausgebrannte Ruinen und sechs Gebäude, die irgendwo dazwischen lagen. Das Haus der Daniels war eines von denen dazwischen.
Ich entdeckte einen freien Parkplatz und manövrierte meinen alten 124er Fiat um kaum identifizierbaren Müll und intakte, aber leere Weinflaschen. Das Verpackungsgesetz in Massachusetts belohnt den Sammler mit einem Nickel pro Bier- oder Tonicdose, ob nun aus Glas, Plastik oder Aluminium, aber er kriegt nichts für Weinflaschen. Zu schade.
Als ich aus dem Wagen stieg, bemerkte ich drei junge
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